Wie das Denken entsteht: Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur rückt neueste Erkenntnisse der Hirnforschung in den Mittelpunkt
01.12.2015
Er gehört international zu den herausragenden Vertretern der Hirnforschung und ist Wegbereiter einer biologisch fundierten Psychologie: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Onur Güntürkün ist Inhaber der Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur im Jahr 2016 der "Freunde der Universität Mainz e.V.". In seiner Veranstaltungsreihe mit dem Titel "Psychologie und Gehirn: Zur Innenansicht des Menschen" wird sich der Professor für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum gemeinsam mit hochkarätigen Wissenschaftlern von internationalem Rang mit den neuesten Erkenntnissen der Psychologie und der Neurowissenschaft auseinandersetzen.
Was sind die neuralen Grundlagen des Denkens? Was passiert beim Lernen, was beim Erinnern? In seiner Forschung versucht Onur Güntürkün zu verstehen, wie das Denken im Gehirn entsteht. Dabei schlägt er eine Brücke von der zellulären Ebene bis hin zum Verhalten. Dementsprechend verwendet er sowohl Methoden der Neurowissenschaft als auch der Experimentalpsychologie. Für seine Forschungsarbeiten zu den biologischen Grundlagen des Verhaltens von Tier und Mensch und für die vorbildliche Vermittlung seiner Forschungen in die breite Öffentlichkeit und in die Medien wurde er vielfach ausgezeichnet.
"Wir freuen uns sehr, dass wir Professor Onur Güntürkün für die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur 2016 gewinnen konnten", erklärt Peter Radermacher, Vorsitzender der Vereinigung der "Freunde der Universität Mainz e.V.". "Mit Fragen, wie das Denken entsteht und unser Gehirn funktioniert, was die Leistungsfähigkeit dieses Organs ausmacht oder wie wir die Welt wahrnehmen und lernen, wie wir uns erinnern, aber auch vergessen, eröffnet der Biopsychologe im kommenden Sommersemester einen hochaktuellen Diskurs und wird auf diese Weise dem Anspruch unserer Stiftungsprofessur in geradezu idealer Weise gerecht."
"Professor Güntürkün wird uns aufzeigen, wie bei über 100 Milliarden Nervenzellen die Ordnung unseres Denkens entsteht, und er hält es für wahrscheinlich, dass wir eines Tages die Prinzipien dieser Ordnung verstehen werden", sagt der stellvertretende Vorsitzende der Stiftung "Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur", Kurt Roeske. Und er fügt hinzu: "Dass wir dann auch wirklich Gedanken lesen können, daran zweifelt Professor Güntürkün aber aufgrund der Komplexität und Individualität unserer neuronalen Netzwerke, die uns unzählig viele geistige Vorgänge ermöglichen."
Das klassische Bild von uns selbst war ein dualistisches: Was den Menschen zum Menschen machte, war seine Seele und nicht sein Körper. Mittlerweile gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass auch das Mentale ein Ergebnis biologischer Mechanismen ist: Wir sind somit unser Gehirn. Doch dadurch ergeben sich eine Fülle neuer und komplexer Fragen, die Gegenstand der Forschung sowohl der Psychologie als auch der Neurowissenschaft sind.
Diese zwei Forschungsrichtungen werden in der Biologischen Psychologie gebündelt. Sie rückt somit in das Zentrum der Forschung zu den neuralen Grundlagen des Denkens und stellt Fragen, die in den Vorträgen der Vorlesungsreihe besprochen werden sollen: Wenn unser Gehirn eine Stammesgeschichte aufweist, gilt dies nicht genauso auch für unser Denken? Wo in den Weiten unseres Gehirns stecken unsere Erinnerungen? Warum haben wir Gefühle, wenn sie uns doch zu so vielen irrationalen Handlungen verleiten? Was macht uns und somit unser Gehirn intelligent? Und schließlich: Wird die Hirnforschung eines Tages in der Lage sein, unser Denken aus unserem Gehirn herauszulesen? Müssten wir spätestens dann nicht auch verstanden haben, was Bewusstsein ist und wie die Innenansicht des Menschen strukturiert ist?
Fragen wie diese wird Güntürkün gemeinsam mit seinen renommierten Gastredner erörtern: Prof. Dr. Nikolai Axmacher (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Dr. Jan Born (Universität Tübingen), Prof. Dr. Lars Penke (Georg-August-Universität Göttingen) und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolf Singer (Max-Planck-Institut Frankfurt).
"Professor Güntürkün wird dieses faszinierende Forschungsfeld aus den verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven, von der Psychologie über die Biologie bis hin zu den Neurowissenschaften, im Dialog mit der Bevölkerung eloquent, engagiert und verständlich mit hoher wissenschaftlicher Qualität präsentieren und diskutieren. Denn er wurde nicht nur für seine wissenschaftlichen Arbeiten mit dem Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem wichtigsten Forschungsförderpreis in Deutschland. Er erhielt auch den Communicator-Preis des Stifterverbandes für herausragende Leistungen auf dem Gebiet des Wissenstransfers. Ich bin daher sicher, dass die 17. Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur erneut die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich ziehen und damit maßgeblich zum Ansehen der Universität beitragen wird", betont der Vizepräsident für Forschung der Johannes Gutenberg-Universität, Prof. Dr. Wolfgang Hofmeister.
Eingerichtet hat die "Vereinigung der Freunde" die Stiftung "Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur" aus Anlass des 600. Geburtstags von Johannes Gutenberg im Jahr 2000. Inhaber der Stiftungsprofessur waren der Kulturhistoriker und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Fritz Stern (2000), der führende Vertreter der Evolutionsbiologie und Pionier der Soziobiologie Bert Hölldobler (2001), der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (2002), der ehemalige Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung Wolfgang Frühwald (2003), der ehemalige Exekutiv-Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) Klaus Töpfer (2004), der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka (2005), der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger (2006), der Immunologe Fritz Melchers (2007), der Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma (2008), Karl Kardinal Lehmann (2009), die Neuropsychologin und Kognitionswissenschaftlerin Angela D. Friederici (2010), der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Gottfried Boehm (2011), der Paläoanthropologe Friedemann Schrenk (2012), der Finanzwissenschaftler Gerold Krause-Junk (2013) und der Physiker Christof Wetterich (2014) sowie die Kulturwissenschaftler Aleida und Jan Assmann (2015).