Neutrinos sind mindestens eine Million Mal leichter als Elektronen

Präzisionswaage KATRIN am Karlsruher Institut für Technologie übertrifft sich selbst und setzt neue Obergrenze für die Masse der Neutrinos

11.04.2025

PRESSEMITTEILUNG DER KATRIN-KOLLABORATION

Das internationale KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat erneut Maßstäbe gesetzt: Aus den gerade in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichten Daten lässt sich eine Obergrenze von 8 x 10-37 kg (oder in der üblichen Einheit 0,45 Elektronenvolt/c2) für die Masse des Neutrinos ableiten. Mit diesem Ergebnis stellt KATRIN, das die Neutrinomasse mit einer modellunabhängigen Methode im Labor vermisst, erneut einen Weltrekord auf.

Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie beeinflussen sie die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher unbekannte physikalische Prozesse dienen. Die präzise Messung der Neutrinomasse ist daher essenziell für ein vollständiges Verständnis der fundamentalen Gesetze der Natur.

Genau hier setzt das KATRIN-Experiment mit seinen internationalen Partnern an, zu denen auch die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) gehört. KATRIN nutzt den Beta-Zerfall von Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop, um die Neutrinomasse zu messen. Die Energieverteilung der entstehenden Elektronen erlaubt eine direkte Messung der Neutrinomasse. Um dies zu erreichen, sind hochentwickelte technische Komponenten notwendig: Das 70 Meter lange Experiment beherbergt eine intensive Tritiumquelle sowie ein hochauflösendes Spektrometer mit einem Durchmesser von 10 Metern. Diese Technologie ermöglicht eine bislang unerreichte Präzision bei der Messung der Neutrinomasse.

Auswertung der Daten

Die Qualität der ersten Datensätze seit dem Start der Messungen im Jahr 2019 konnte über die letzten Jahre kontinuierlich verbessert werden. "Wir haben fünf Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert – das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme", erklärt Prof. Dr. Kathrin Valerius vom KIT, eine der beiden Co-Sprecherinnen des Experiments. Prof. Dr. Susanne Mertens vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) und der Technischen Universität München (TUM) ergänzt: "In jeder Messkampagne haben wir dazugelernt und die experimentellen Bedingungen weiter optimiert."

Die Auswertung der extrem komplexen Daten stellte eine enorme Herausforderung dar und verlangte dem internationalen Datenanalyseteam höchste Präzision ab. "Die Analyse der KATRIN-Daten ist hoch anspruchsvoll, da eine bisher noch nie erreichte Genauigkeit benötigt wird", betont auch Co-Analysekoordinator Dr. Alexey Lokhov vom KIT. "Wir benötigen den Einsatz hochmoderner Analysemethoden, wobei insbesondere Künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt", fügt Dr. Christoph Wiesinger vom MPIK und der TUM, ebenfalls Co-Analysekoordinator, hinzu.

Ausblick auf künftige Messungen

Die Forschenden blicken optimistisch in die Zukunft: "Unsere Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2025 andauern. Durch die kontinuierliche Verbesserung des Experiments und der Analyse sowie durch eine größere Datenmenge erwarten wir eine noch höhere Sensitivität – und möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse", so das KATRIN-Team. Schon jetzt führt KATRIN das weltweite Feld der direkten Neutrinomassenmessung an und hat mit den ersten Daten die Ergebnisse früherer Experimente um das Vierfache übertroffen. Das aktuelle Resultat zeigt, dass Neutrinos mindestens eine Million Mal leichter sind als Elektronen, die leichtesten geladenen Elementarteilchen. Diesen enormen Massenunterschied zu erklären, bleibt eine Herausforderung für die theoretische Teilchenphysik.

Neben der präzisen Neutrinomassenmessung plant KATRIN bereits die nächste Phase. Ab 2026 wird ein neues Detektorsystem, TRISTAN, installiert. Dieses Upgrade des Experiments ermöglicht die Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos im Kiloelektronenvolt/c2-Massenbereich. Sterile Neutrinos sind bisher hypothetische Elementarteilchen, die nochmals deutlich schwächer interagieren als die bekannten Neutrinos und geeignete Kandidaten für die Dunkle Materie sind. Darüber hinaus wird mit KATRIN++ ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm initiiert, um Konzepte für ein Experiment der nächsten Generation zu erarbeiten, das eine noch präzisere direkte Messung der Neutrinomasse ermöglichen soll.

Die KATRIN-Kollaboration

An KATRIN arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von über 20 Institutionen aus sieben Ländern mit. Aus dem deutschsprachigen Raum sind neben dem KIT die Humboldt-Universität zu Berlin, die Universitäten Bonn, Heidelberg, Mainz, Münster und Wuppertal, die Technische Universität München sowie das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg und das Max-Planck-Institut für Physik in München beteiligt.

Ansprechperson der KATRIN-Kollaboration an der JGU ist Dr. Larisa Thorne. Sie ist Postdoc in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Martin Fertl und Teil des Exzellenzclusters PRISMA+. Seit 2017 arbeitet sie an KATRIN mit. Zu dem neuen Ergebnis des Experiments trug sie insbesondere durch die Analyse der ersten beiden Datensätze, die Charakterisierung der systematischen Effekte des Plasmas in den Messungen, die Übernahme von Schichten zum Sammeln neuer Daten und die kritische Wartung der Detektor-Hardware bei.