Phasenübergang im frühen Universum ändert Stärke der Wechselwirkung zwischen Dunkler und normaler Materie
23.01.2023
Dunkle Materie ist nach wie vor eines der größten Rätsel der modernen Physik. Es ist klar, dass es sie geben muss, denn ohne Dunkle Materie lässt sich etwa die Bewegung von Galaxien nicht erklären. Aber noch nie ist es gelungen, Dunkle Materie in einem Experiment direkt nachzuweisen. Aktuell gibt es viele Vorschläge für neue Experimente: Sie zielen darauf ab, die Dunkle Materie über ihre Streuung an Protonen und Neutronen, den Bestandteilen des Atomkerns, direkt nachzuweisen.
Ein Autorenteam, zu dem Gilly Elor, Postdoktorandin am Exzellenzcluster PRISMA+ der Johannes Gutenberg Universität-Mainz (JGU), sowie Robert McGehee und Aaron Pierce von der University of Michigan in Ann Arbor in den USA gehören, hat nun einen neuen Kandidaten für Dunkle Materie vorgeschlagen und ihm den Namen HYPER gegeben, kurz für "HighlY Interactive ParticlE Relics". Der Clou: Im HYPER-Modell erhöht sich einige Zeit nach der Entstehung der Dunklen Materie im frühen Universum schlagartig die Stärke ihrer Wechselwirkung mit normaler Materie – was sie einerseits heute potenziell nachweisbar macht und gleichzeitig die Menge an Dunkler Materie erklären kann. Das HYPER-Dark-Matter-Modell und den darin erstmals enthaltenen Phasenübergang stellen die Forschenden in der aktuellen Ausgabe des renommierten Journals Physical Review Letters vor.
Neue Vielfalt im Bereich der Dunklen Materie
Nachdem die Suche nach schweren Dunkle-Materie-Teilchen, den sogenannten WIMPs, bisher nicht zum Erfolg geführt hat, sucht die Forschergemeinde nach alternativen, vor allem auch leichteren Dunkle-Materie-Teilchen. Gleichzeitig würde man im Allgemeinen Phasenübergänge auch im dunklen Sektor erwarten, schließlich gibt es mehrere im sichtbaren Sektor. Doch bisherige Studien haben sie eher vernachlässigt. "Für den Massenbereich, den einige geplante Experimente zugänglich machen wollen, gab es bisher noch kein konsistentes Dunkle-Materie-Modell“, so Dr. Gilly Elor. "Unser HYPER-Modell zeigt nun, dass ein Phasenübergang tatsächlich dazu beitragen kann, Dunkle Materie leichter nachweisbar zu machen."
Die Herausforderung für ein passendes Modell: Wenn Dunkle Materie zu stark mit normaler Materie wechselwirkt, wäre ihre (genau bekannte) Menge, die sich im frühen Universum gebildet hat, zu klein und würde astrophysikalischen Beobachtungen widersprechen. Wenn Dunkle Materie jedoch in der richtigen Menge produziert würde, wäre die Wechselwirkung umgekehrt zu schwach, um sie in heutigen Experimenten nachweisen zu können.
"Die zentrale Idee, die unserem HYPER-Modell zugrunde liegt, ist, dass sich die Wechselwirkung einmalig sprunghaft ändert – so haben wir das Beste aus beiden Welten: die richtige Menge an Dunkler Materie und eine große Wechselwirkung, sodass wir sie nachweisen können", erläutert Robert McGehee. Und das stellen sich die Forschenden so vor: In der Teilchenphysik wird eine Wechselwirkung in der Regel über ein bestimmtes Teilchen, einen sogenannten Mediator, vermittelt – so auch die Wechselwirkung von Dunkler Materie mit normaler Materie. Sowohl die Entstehung der Dunklen Materie als auch deren Detektion funktionieren über diesen Mediator, wobei die Stärke der Wechselwirkung von dessen Masse abhängt. Je größer die Masse, desto schwächer die Wechselwirkung.
Dabei muss der Mediator zunächst schwer genug sein, damit sich die korrekte Menge an Dunkler Materie bilden kann und später leicht genug, damit Dunkle Materie überhaupt nachweisbar ist. Die Lösung: Es gab nach der Entstehung der Dunklen Materie einen Phasenübergang, bei dem sich die Masse des Mediators plötzlich verkleinerte. "So wird einerseits die Masse an Dunkler Materie konstant gehalten und andererseits die Wechselwirkung derart geboostet oder verstärkt, dass Dunkle Materie direkt nachweisbar sein sollte", berichtet Aaron Pierce.
Neues Modell deckt fast kompletten Parameterbereich geplanter Experimente ab
Mehr noch: "Das HYPER-Modell der Dunklen Materie ist in der Lage, beinahe den gesamten Bereich, den die neuen Experimente zugänglich machen, abzudecken", ergänzt Dr. Gilly Elor.
Konkret hat sich das Forscherteam zunächst überlegt, wie groß die durch den Mediator vermittelte Wechselwirkung mit den Protonen und Neutronen eines Atomkerns maximal sein kann, um im Einklang mit astrophysikalischen Beobachtungen und bestimmten teilchenphysikalischen Zerfällen zu stehen. Im nächsten Schritt galt es zu überlegen, ob es ein Modell für Dunkle Materie gibt, das diese Wechselwirkung aufweist. "Und hier kam uns die Idee des Phasenübergangs", beschreiben die Autoren im aktuellen Artikel. "Wir haben dann die Menge an Dunkler Materie berechnet, die es im Universum gibt, und anschließend den Phasenübergang mit unseren Rechnungen simuliert." Dabei gibt es sehr viele Rahmenbedingungen zu beachten, zum Beispiel eine konstante Menge an Dunkler Materie. "Hier müssen wir systematisch sehr viele Szenarien bedenken und einbeziehen, zum Beispiel die Frage stellen, ob wirklich sicher ist, dass unser Mediator nicht doch plötzlich zur Bildung neuer Dunkler Materie führt, was natürlich nicht sein darf", so Elor. "Aber am Ende konnten wir uns davon überzeugen, dass unser HYPER-Modell funktioniert."