Virtueller OP unterstützt Ausbildung des chirurgischen Nachwuchses
18.10.2016
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bietet ab dem Wintersemester 2016/2017 ihren Humanmedizin-Studierenden ein ganz besonderes Lehrangebot: Einen auf Virtual Reality basierenden Simulator von roboterassistierten Eingriffen. Damit kann der medizinische Nachwuchs im Rahmen des chirurgischen Praktikums in einer virtuellen OP seine chirurgischen Fertigkeiten entwickeln und üben.
Augen direkt an die Monitorbrille, Fuß auf die Kupplung, Daumen und Mittelfinger in eine Art zweite Hand einführen, an deren Enden Instrumente angebracht sind – fertig. Bereit zur ersten eigenen Operation eines Darms. Das Gehirn ist bereits aktiv: Wie war nochmal der Ablauf der einzelnen OP-Schritte? Was muss wo wie geschnitten oder verödet werden? Wird es gelingen, auf kleinstem Raum effiziente Bewegungen auszuführen? Was ist zu tun, um Augen, Hände und Füße so zu koordinieren und die Kraft so maßvoll einzusetzen, dass die Instrumente stets im Blick sind, nicht miteinander kollidieren, keine Nadel oder anderes fallen lassen oder gar Gefäße abreißen und Blutungen verursachen? Anspannung und Konzentration liegen in der Luft. Doch sonst ist da nichts – kein Patient, kein Team.
Eine Stimme aus dem Off erläutert jeden Handgriff
Sie sind auch nicht erforderlich, denn die Operation ist nur eine Übung, die als Simulation im virtuellen Raum stattfindet. Der Bildschirm zeigt beispielsweise reale Filmaufnahmen einer Darmoperation. Eine Stimme aus dem Off erläutert jeden einzelnen Handgriff. Immer wieder stoppt der Film, und das Standbild wird quasi zum virtuellen Raum. Über die realen Instrumente werden die virtuellen eingeblendet. Es gilt, in den Tiefen des virtuellen Raums die angezeigten Zielmarken auf dem Bild zu erreichen und wie optisch aufgefordert zu handeln: Dort mit der Klammer ansetzen und nach links ziehen, genau hier mit rechts schneiden.
Um den ärztlichen Nachwuchs möglichst exzellent auf seine Aufgaben vorzubereiten und zu trainieren, setzt die Universitätsmedizin Mainz in der Ausbildung ihrer Studierenden auf praxisnahes Lernen. In der Rudolf Frey-Lernklinik, dem medizinischen Trainingszentrum für ärztliche Fertigkeiten der Universitätsmedizin Mainz, haben die angehenden Ärztinnen und Ärzte nun eine weitere, wichtige Übungsmöglichkeit – einen Simulator speziell für roboterassistierte, minimalinvasive Chirurgie mit dem Da-Vinci-System. Das Besondere an diesem Gerät: Der Operateur arbeitet wie bei einer realen Operation direkt an der Konsole des Chirurgiesystems, übt aber live in einer virtuellen Simulation ohne Patienten.
Gerade auch in der Chirurgie ist es wichtig, sein Handwerk zu beherrschen. Zum Beispiel wenn das Gelingen einer Operation von dem nahezu perfekten Zusammenspiel der Aktionen des Chirurgen und des chirurgischen Roboters abhängt. Das ist beispielsweise beim Da-Vinci-Operationssystem der Fall. Es dient mittlerweile vielen chirurgischen Disziplinen als Instrument der minimalinvasiven "Schlüsselloch-Chirurgie", die für die Patienten besonders schonend ist.
Anzahl roboterassistierter Operationen wird zukünftig steigen
"Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl der roboterassistierten Operationen zukünftig steigen wird. Wir wollen mit diesem ganz besonderen Simulator die nächste Generation von Ärzten schon heute an die Zukunft der Chirurgie heranführen", erläutert der Prodekan für Studium und Lehre der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. Stephan Letzel. "Modernste Technik kann in der Medizin helfen, aber auch eine ganz besondere Herausforderung sein. Übung macht auch hier den Meister und schafft mehr Sicherheit – sowohl für den Operateur als auch für den Patienten."
Der neue Simulator bietet verschiedene Übungsfelder und Trainingsarten. Der Nutzer kann wählen: Zum Einstieg vielleicht erstmal ein Pick up-Spiel? Oder doch lieber ganz gezielt die Bedienung und Führung von Kamera und Kupplung trainieren? Für Fertigkeiten wie Handgelenkigkeit, Näh- und Knotentechnik, Verödung, Präparation, Elektrochirurgie und die Kenntnis von Operationsabläufen sind weitere Trainingsmodule vorhanden. Ein zusätzlicher Bildschirm zeigt am Ende jeder Übungseinheit an, wie gut diese verlaufen ist, wo sich ganz konkret die individuellen Stärken und Schwächen gezeigt haben.
Der auf Virtual Reality basierende Simulator soll zukünftig auch für die Weiterbildung von Assistenzärzten der chirurgischen Disziplinen zum Einsatz kommen – als Bestandteil eines neuen roboterchirurgischen Curriculums. Darüber hinaus erhalten Fachärzte unter anderem aus den Bereichen Allgemeinchirurgie, Kinderchirurgie, Gynäkologie und Urologie Zugang zum neuen Simulator. Denn Studien haben gezeigt, dass ein regelmäßiges Simulatortraining sowie eine Art Aufwärmtraining, das sogenannte "Warm-Up", die operativen Fähigkeiten eines Chirurgen am Patienten optimieren können. Um wissenschaftliche Studien und Promotionsarbeiten durchzuführen, ist das rund 100.000 Euro teure Gerät ebenfalls geeignet.
"Übung ist in jeder Phase der ärztlichen Laufbahn ein wichtiger Erfolgsfaktor", betonen unisono die Projektleiter, Prof. Dr. Oliver Muensterer, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie, und Prof. Dr. Werner Kneist von der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Universitätsmedizin Mainz. "Deshalb haben wir spezielle Trainingspläne für Einsteiger, geübtere Studenten und bereits erfahrene Assistenz- und Fachärzte erarbeitet. Somit kann jeder auf seinem Level seine Fertigkeiten üben und verfeinern."
Über das Da-Vinci-OP-System
Beim Da-Vinci-OP-System steht der Chirurg nicht am OP-Tisch, sondern er sitzt etwas entfernt an einer Steuerkonsole. Über diese erhält er ein bis zu zehnfach vergrößertes 3D-Bild des Operationsfeldes. Der Operateur sieht dadurch beispielsweise feine Strukturen wie kleine Nerven und Gefäße, die er dann gezielt bei der Präparation erhalten kann. Über spezielle Bedienelemente steuert er mit beiden Händen und Fußschaltern den zweiten Bestandteil des Systems: den Operationsroboter mit vier Armen. An deren Enden befinden sich winzige, auswechselbare OP-Instrumente, die in sieben Freiheitsgraden bewegt werden können – mehr als es die menschliche Hand vermag. Der Roboter führt somit die Befehle bzw. Bewegungen des Operateurs im Körper des Patienten millimetergenau aus. Außerdem kann der Operateur mit seinen Händen die Kamera steuern und Spezialinstrumente wie Klammernahtgeräte bedienen.