Neue Erkenntnisse über die Entstehung von Autoimmunerkrankungen des Gehirns

Mainzer und Züricher Forscher widerlegen populäre Hypothese im Zusammenhang mit der Entstehung von Multipler Sklerose / Publikation im Journal of Clinical Investigation

15.12.2008

Anders als bisher angenommen, scheinen zwei Formen des Proteins Interleukin 17 keine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen des Gehirns wie etwa Multipler Sklerose zu spielen. Das zeigen Forscher der Universitätskliniken Mainz und Zürich in einer jetzt online publizierten Studie im renommierten Journal of Clinical Investigation.

Bei Autoimmunkrankheiten kann das Immunsystem als körpereigenes Abwehrsystem nicht mehr zwischen eigen und fremd unterscheiden. Als Konsequenz richtet das Immunsystem seine Abwehr gegen köpereigenes Gewebe – mit fatalen Folgen. Bei der Multiplen Sklerose, einer chronischen entzündlichen Autoimmunerkrankung des Zentralen Nervensystems, greift das Immunsystem dann die Schutzschicht an, die die Nervenfasern umhüllt: Diese Schutzschicht aus Myelin wirkt ähnlich einer Isolierung bei elektrischen Kabeln. Wird die Isolierung beschädigt, können die Nerven Botschaften nicht mehr effektiv übertragen.

Bei der Entstehung bestimmter Autoimmunkrankheiten spielen sogenannte T-Helferzellen eine entscheidende Rolle ebenso wie die kleinen Eiweißmoleküle oder Zytokine, die sie produzieren. Insbesondere die Th-17-Zellen, die erst vor wenigen Jahren als Unterklasse der T-Helferzellen entdeckt wurden, und ihre Bedeutung bei der Entstehung von Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose waren in den letzten drei Jahren Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen. Dabei sind die Th-17-Zellen benannt nach dem von ihnen produzierten Zytokin Interleukin 17, kurz IL-17. Also lag die Vermutung nahe, dass über diesen Botenstoff die Entstehung von MS vermittelt wird. Insbesondere die beiden Hauptformen des Interleukin 17, IL-17A und IL-17F, sind dabei in den Blickpunkt der Forscher gerückt.

In einer gemeinsamen Studie haben nun Forscher der Universitätsmedizin Mainz um Prof. Dr. Ari Waisman von der I. Medizinischen Klinik und die Züricher Gruppe um Prof. Burkhard Becher vom Institut für experimentelle Immunologie des Universitätsklinikums Zürich zusammen mit Kollegen aus Berlin und Genf direkt die Rolle dieser beiden Zytokine und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Erkrankung EAE1 in Mäusen untersucht. Diese Erkrankung ist in vielen Punkten vergleichbar mit der MS-Erkrankung beim Menschen und dient daher als deren Modell. Die Forscher konnten einerseits zeigen, dass Mäuse, die keines dieser Zytokine produzieren, ebenso anfällig für die Entstehung für EAE sind wie normale Mäuse. Andererseits führte auch die gezielte Überproduktion der beiden Zytokine im Gehirn nicht zu einer höheren Anfälligkeit für die MS-ähnliche Erkrankung. Interessanterweise führte jedoch die vermehrte Produktion der Zytokine im ganzen Körper der Mäuse sehr wohl zu Entzündungen in den verschiedensten Bereichen, vor allem in der Haut. Dies zeigt, dass IL-17 tatsächlich ein krankmachendes Zytokin ist, aber nicht im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen des Gehirns gesehen werden kann.

"Das Ergebnis, dass weder IL-17A noch IL-17F eine entscheidende Rolle für die Entstehung der MS-ähnlichen Erkrankung in Mäusen spielen, war für uns eine große Überraschung", erklärt Prof. Dr. Ari Waisman. "Dies wird in der Fachwelt vermutlich zu einem Umdenken führen, denn damit konnten wir eine populäre Hypothese nicht bestätigen. Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind jedoch sehr wichtig für die Entwicklung zukünftiger Behandlungsstrategien von Autoimmunerkrankungen des Gehirns. Denn der Fokus sollte sich im Zusammenhang mit MS weg vom Interleukin-17 hin zu anderen Zytokinen bewegen."