Multiple Sklerose: Rezeptor identifiziert, der Einwanderung von T-Zellen in Gehirn verstärkt

Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz entdecken Mechanismus, der es T-Zellen erleichtert, im Gehirn Schaden anzurichten

01.02.2017

Bei der neurodegenerativen Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) greifen körpereigene T-Zellen das zentrale Nervensystem im Gehirn an. Ein wichtiges Hindernis stellt dabei die sogenannte Blut-Hirn-Schranke dar. Diese müssen T-Zellen überwinden, um in das Gehirn einzudringen. Wie das funktioniert, wollen Forscher weltweit ergründen. Ziel ist es, neue Medikamente zu entwickeln, die genau an diesem Punkt der Krankheitsentwicklung ansetzen. Eine Forschergruppe der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat jetzt einen Mechanismus entdeckt, der es T-Zellen erleichtert, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren und in das Zentrale Nervensystem (ZNS) einzuwandern. Dr. Florian Kurschus vom Institut für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz hat gemeinsam mit seiner Arbeitsgruppe herausgefunden, dass das als EBI2 bezeichnete Protein auf der Oberfläche von T-Zellen wesentlich dazu beiträgt. Dieses Forschungsergebnis wurde jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Cell Reports veröffentlicht.

EBI2 fungiert als Rezeptor beziehungsweise Zielprotein für ein bestimmtes, als Ligand bezeichnetes Molekül, 7α,25-Dihydroxycholesterol. Dieser Ligand wird von bestimmten Enzymen aus Cholesterin produziert. EBI2 ermöglicht es den Immunzellen, schneller und effizienter in das Gehirn einzuwandern. Dabei gilt: Je höher die Konzentration des Liganden, desto schneller und effizienter können die Immunzellen ins Gehirn vordringen und dort Gewebeschäden anrichten.

Zu dieser Erkenntnis kamen die Wissenschaftler um Dr. Florian Kurschus, als sie nachweisen konnten, dass in entzündeten Gehirnarealen von MS-Patienten besonders viele Zellen mit hohen Mengen des Rezeptors EBI2 angesammelt sind. "Diese Daten legen den Schluss nahe, dass im Menschen der Rezeptor und eine erhöhte Ligandenkonzentration zur Einwanderung von T-Zellen und somit zur Erkrankung des ZNS beitragen", unterstreicht Dr. Florian Wanke, der die Experimente in der Arbeitsgruppe von Kurschus hauptsächlich durchführte.

In einem ersten Schritt untersuchten die Wissenschaftler in einem Tiermodell der Multiplen Sklerose, was bei einer Entzündung passiert. Sie konnten zeigen, dass zu Beginn einer Entzündung der Anteil der Enzyme, die für die Ligandenproduktion wesentlich sind, im ZNS erhöht ist. "Je mehr von diesen Enzymen aktiv sind, desto höher ist auch die Anzahl der Liganden, die T-Zellen über die Blut-Hirn-Schranke einschleusen können“, erläutert Kurschus. "Es erschloss sich uns folglich, wie die erhöhte Ligandenproduktion im entzündeten ZNS Gewebe zustande kommt."

Da Rezeptoren wie EBI2, sogenannte G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, ein hohes Potenzial als Angriffspunkte für neue Medikamente darstellen, sind sie für die MS-Forschung in hohem Maße interessant. "Für den Rezeptor EBI2 sind bereits mögliche therapeutische Ansatzpunkte bekannt, die wir in Zukunft in MS-Modellversuchen auf ihre Wirksamkeit testen wollen. Über die Krankheit Multiple Sklerose hinaus könnte dieser Rezeptor aber auch eine Rolle in anderen Autoimmunkrankheiten spielen. Denn EBI2 wird von besonders gefährlichen, sogenannten Th17-Zellen produziert, die eine Untergruppe der T-Helferzellen darstellen", erläutert Dr. Florian Kurschus. Bei T-Helferzellen handelt es sich um weiße Blutkörperchen, die eigentlich Krankheitserreger und Eindringlinge im Blut bekämpfen. Bei Autoimmunkrankheiten wie beispielsweise Schuppenflechte oder MS entfalten sie aber nachweislich eine gegenteilige Wirkung. Sie gelten daher als pathogene, also krankheitsverursachende Immunzellen, da sie eigene Strukturen fälschlicherweise als fremd erkennen und bekämpfen.

Die Arbeit von Dr. Florian Kurschus und seiner Arbeitsgruppe entstand im Wesentlichen am Institut für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz. An den Untersuchungen waren unterschiedliche Labore im In- und Ausland beteiligt. Die Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen und hierbei speziell von MS stellt einen besonderen Fokus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie ihrer Universitätsmedizin dar. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die MS-Forschung an der Universitätsmedizin Mainz im Rahmen des Sonderforschungsbereiches TR128 "Initiierungs-, Effektor- und Regulationsmechanismen bei Multipler Sklerose – von einem neuen Verständnis der Pathogenese zur Therapie".