Materialdesign durch Defektkontrolle: Neuer Sonderforschungsbereich am Standort Mainz genehmigt

DFG bewilligt neuen Sonderforschungsbereich zur Defektkontrolle in weicher Materie unter Federführung der JGU

19.05.2023

Defekte werden im Allgemeinen mit einem Fehler oder Schaden in Verbindung gebracht – aber in der Materialwissenschaft bieten Defekte auch große Chancen. Diese Chancen wird ein neuer Sonderforschungsbereich (SFB) auf dem Gebiet der weichen Materie ausloten, der unter Federführung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eingerichtet wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat den SFB 1552 "Defects and Defect Engineering in Soft Matter" bewilligt und stellt dafür in den kommenden Jahren rund acht Millionen Euro bereit. Daran beteiligt sind außerdem das Max-Planck-Institut für Polymerforschung und das Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Biologie, Chemie und Physik werden einen innovativen Ansatz verfolgen, um ein neues Designprinzip für weiche Materie zu etablieren: die sogenannte Defektkontrolle. Das Prinzip ist von Halbleitern bekannt – die Grundlage unserer digitalen Welt.

Defekte als die eigentlichen Funktionsgeber in einem Material

Weiche Materie begleitet uns im Alltag überall: Von Duschgel und Zahnpasta über Kautschuk und Papier bis zu Joghurt, Wandfarbe und allen Arten von Kunststoffen gehören die unterschiedlichsten Dinge dazu. Aber auch Pflanzen, Tiere und wir Mensch bestehen zu einem großen Teil aus weicher Materie, etwa in Form von Blut und Gewebe. Dabei ist der Begriff selbst erst etwa 30 Jahre alt, geprägt von Pierre-Gilles de Gennes, der 1991 den Physik-Nobelpreis für Arbeiten auf diesem Gebiet erhalten hat. So unterschiedlich die Stoffe sind, so haben sie doch auch Gemeinsamkeiten. "Weiche Materie besteht aus Bausteinen, die verhältnismäßig groß sind und eine vergleichsweise schwache Wechselwirkung zeigen", erklärt der Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs, Prof. Dr. Sebastian Seiffert von der JGU.

Wie kann nun in solchen Materialien, die eine große strukturelle Vielfalt zeigen und die in ihrem Aufbau oft nicht geordnet sind, ein ähnliches Prinzip genutzt werden wie bei den Halbleitern, die unser Leben revolutioniert haben? "Oft sind Defekte die eigentlichen Funktionsgeber in einem Material", beschreibt Sebastian Seiffert den Ausgangspunkt. So kommen zum Beispiel Halbleitereigenschaften in Metallen und Halbmetallen durch Defekte zustande, indem etwa Silizium mit Fremdatomen dotiert wird, also einzelne Atome durch andere ersetzt werden. Damaszener Stahl, ein anderes Beispiel, erhält durch Dotierung mit Kohlenstoff und eine kunstvolle Mikrostrukturgebung seine charakteristischen Eigenschaften. Aber im Falle von weicher Materie gibt es bislang nur wenig Versuche, Defekte in einem Material zu verstehen, zu bewerten und zu kontrollieren. "Eine prominente Ausnahme sind die Flüssigkristalle", so Seiffert. Der Mainzer Chemieprofessor hat vor drei Jahren eine Übersichtsarbeit erstellt und Beispiele für Defekte und Defektkontrolle bei weicher Materie aufgelistet – und damit das Thema als ein neues Forschungsfeld definiert.

Standort Mainz bietet ideale Voraussetzungen

"Dass wir nun das Thema tatsächlich im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs bearbeiten können, ist nur dem Standort Mainz zu verdanken", sagt Sebastian Seiffert. Hier konzentriert sich das Fachwissen aus der Chemie, der Polymerwissenschaft und der Soft-Matter-Physik, sodass bereits eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit besteht, die weiter ausgebaut werden kann. Zusammen mit Prof. Dr. Kurt Kremer, Direktor am Max-Planck-Institut für Polymerforschung, Prof. Dr. Friederike Schmid vom Institut für Physik der JGU und Prof. Dr. Pol Besenius vom Department Chemie der JGU hat Seiffert drei Typen von Defekten definiert, an denen sich die künftigen Arbeiten orientieren werden: Dotierungsdefekte, Konnektivitätsdefekte und topologische Defekte. Beispielhaft für diese drei Typen sind etwa flexible Solarzellen, Babywindeln und Biomembranen.

Geht es zunächst in der ersten Förderperiode darum, die Defekte zu verstehen und in gewissem Maße zu kontrollieren, so steht später die Kontrolle der einzelnen Defekttypen zur Herstellung von funktionellen Komponenten für Bauteile im Vordergrund. Ziel ist es schließlich, die drei verschiedenen Defekttypen in einem System zusammenzuführen. "Dann möchten wir die einzelnen Typen wie Instrumente gemeinsam ins Konzert bringen", beschreibt Seiffert das Vorhaben.

Polymerforschung wird Aktionsradius erweitern

Daran werden insgesamt 21 Projektleiterinnen und Projektleiter arbeiten, darunter zehn Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Vier Beteiligte haben eine Juniorprofessur mit Tenure-Track-Option inne. Damit ist der SFB in der Nachwuchsförderung sehr gut aufgestellt. Der Frauenanteil ist mit etwa 33 Prozent überdurchschnittlich hoch.

Bereits im Januar 2023 nahm in Mainz ein anderer Sonderforschungsbereich seine Arbeit auf, um molekulare Prozesse in Zellen mithilfe der Polymerforschung besser zu verstehen. "Die beiden Projekte bilden ein synergistisches Tandem", so Seiffert. Sie werden die Polymerwissenschaft in neue Richtungen tragen: in die Materialwissenschaft einerseits und in die Lebenswissenschaft andererseits.