Mainzer Wissenschaftler lüften Schleier um Biomineralisation

Forschungsergebnisse könnten auch Ausbildung bestimmter Aminosäuren in Urzeit erklären

11.07.2007

Viele Meeresbewohner wie Perlenaustern, Seeigel oder Korallen sind kunstfertige Meister der Biomineralisation. Sie sind nicht nur in der Lage, Calciumcarbonat selbst herzustellen, sondern verleihen dem Kalkstein auch eine besondere Härte, die durch Menschenhand bisher nicht zu erreichen war. Wissenschaftler um Prof. Dr. Wolfgang Tremel vom Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) konnten nun erstmals zeigen, dass die Bildung unterschiedlicher Formen und Stabilitäten von Calciumcarbonat durch die Chiralität von Hilfsstoffen während der Kristallisation bestimmt wird. Die Fachzeitschrift Angewandte Chemie hat die Forschungsergebnisse in ihrer jüngsten Ausgabe veröffentlicht.

Chiralität ist ein weit verbreitetes Merkmal in der Natur und beschreibt die Tatsache, dass zahlreiche Moleküle sich in ihrer räumlichen Anordnung zueinander verhalten wie Hände: Sie sind analog, aber spiegelbildlich aufgebaut und lassen sich nicht zur Deckung bringen. In der Natur kommt von wichtigen biochemischen Molekülen ausschließlich eine von diesen zwei möglichen spiegelbildlichen Strukturen vor, was als Homochiralität bezeichnet wird. So treten fast alle Aminosäuren nur in der linkshändigen Form auf, chirale Zucker dagegen in der rechtshändigen.

Setzt man im Labor bei der Kristallisation von Calciumcarbonat die natürliche L-Form von Aminosäuren ein, so bildet sich eine weniger stabile Variante des Calciumcarbonats, der Aragonit. Aragonit kommt in der Natur vor allem bei Muscheln, Austern und Perlen vor und ist an dem schillernden Farbenspiel des Perlmutts mitbeteiligt. Setzt man jedoch die unnatürliche, künstlich hergestellte rechtsdrehende Aminosäure-Form ein, so bildet sich Calcit. Calcit oder Kalkspat wird auch unter normalen Bedingungen, also ohne Zusätze wie etwa von Aminosäuren, gebildet. Die Chiralität der zugesetzten Aminosäure bestimmt also, welche Form von Calciumcarbonat entsteht.

Diese Befunde lassen den Schluss zu, dass die unterschiedlichen Formen von Calciumcarbonat eine der beiden enantiomeren Formen – die rechts- oder die linkshändige – bevorzugt an ihrer Oberfläche binden. Diese bevorzugte Oberflächenbindung könnte umgekehrt auch zur bevorzugten Bildung nur einer Aminosäure-Form geführt haben. Die Ergebnisse liefern somit möglicherweise einen Hinweis darauf, warum in der Urzeit eine chirale Sorte der Aminosäuren bevorzugt gebildet wurde, da im Archaikum der Meeresboden von Calcit bedeckt war. Dies wäre eine Erklärung dafür, wie Aminosäuren in der Urzeit nach ihrer Chiralität sortiert und zu Peptiden polymerisiert wurden, was die Grundlage für Proteine und darauf aufbauende komplexere biochemische Lebensmoleküle und Grundlage für das Leben überhaupt ist.