Mainzer und Münchner Forscher entdecken Signalmechanismus, der T-Zellen pathogen macht

Erklärung für unzuverlässige Wirkung bestimmter Behandlungsansätze bei Mutipler Sklerose / Publikation in Nature Immunology

01.12.2016

T-Zellen sind ein wichtiger Teil des Immunsystems. Sie können aber nicht nur Krankheitserreger ausschalten, sondern auch selbst zu einer Gefahr werden. Forscherinnen und Forscher der Technischen Universität München (TUM) und der Universitätsmedizin Mainz haben herausgefunden, wann bestimmte T-Zellen zu krankheitserregenden T-Zellen werden, die mit Multipler Sklerose in Verbindung gebracht werden. Die Ergebnisse erklären, warum bestimmte Behandlungsansätze nicht zuverlässig wirken. Sie sind in der aktuellen Ausgabe von Nature Immunology veröffentlicht.

Multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung, also eine Krankheit, bei der das Abwehrsystem des Körpers die eigenen Zellen angreift. In diesem Fall sorgen veränderte T-Zellen dafür, dass die Myelinhülle von Nervenzellen abgebaut wird. Diese Schicht schützt die eigentliche Nervenbahn und sorgt erst dafür, dass Informationen übertragen werden können.

Welche Ziele im Körper T-Zellen ansteuern und welche Wirkung sie dort entfalten, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Prof. Dr. Thomas Korn, Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Neuroimmunologie der TUM, konnte bereits in einer früheren Studie zeigen, dass im Fall der T-Zellen, die zur Schädigung von Myelinhüllen im zentralen Nervensystem führen, ein Stoff namens Interleukin-6 eine wichtige Rolle spielt. Die "Anleitung" dafür, gewebeschädigende Wirkung zu entfalten, erhalten die T-Zellen in Lymphknoten. Sie treffen dort mit einer bestimmten Variante sogenannter dendritischer Zellen zusammen. Diese zeigen den T-Zellen an, beim Kontakt mit welchen Substanzen sie in anderen Teilen des Körpers eine Immunreaktion auslösen sollen. Im Fall von Fremdantigenen, zum Beispiel Bestandteilen von Viren oder Bakterien ist das sinnvoll. Sie können dadurch aus dem Gewebe eliminiert werden. Handelt es sich aber um Autoantigene, also um Bestandteile köpereigener Substanzen wie der Myelinhülle, leiten die T-Zellen eine Immunreaktion gegen den Körper selbst ein.

Wenn dendritische Zellen nicht nur das Myelin als "Zielsubstanz" anzeigen, sondern zugleich den Botenstoff Interleukin-6, kurz IL-6, ausschütten, wird in den T-Zellen eine Art molekularer Schalter umgelegt. Sie werden dann pathogen, entfalten also besonders gewebsschädigende Eigenschaften.

"Mit diesem scheinbar klaren Zusammenhang gab es aber ein großes Problem", so Korn. "Die T-Zellen wurden nicht immer pathogen, wenn IL-6 ausgeschüttet wurde." Gemeinsam mit Forscherinnen und Forschern um Prof. Dr. Ari Waisman, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), haben Korn und sein Team jetzt eine Erklärung für dieses Phänomen. "Entscheidend ist nicht nur, ob die dendritischen Zellen den T-Zellen mit IL-6 Signale senden", erklärt Waisman. "Es geht darum, auf welchem Weg sie das tun."

Bislang waren zwei Wege bekannt, auf denen die dendritischen Zellen IL-6 an die T-Zellen weitergeben. Sie können den Botenstoff zum einen in ihr Umfeld abgeben, die Moleküle sind löslich und bilden eine Wolke im engen Umfeld der dendritischen Zelle. Zum anderen können lösliches IL-6 und löslicher IL-6 Rezeptor einen Komplex bilden, der in bestimmten Zielzellen ein Signal auslösen kann ("Trans-Signaling").Korn und Waisman fanden heraus, dass IL-6 weder auf die eine noch auf die andere Weise die entscheidende Veränderung in den T-Zellen auslöst. Stattdessen identifizierten sie einen dritten Weg. Die dendritischen Zellen können IL-6 auch direkt über ihre Oberfläche weitergeben. Diesen Modus der Signalübermittlung bezeichnen Korn und Waisman als Cluster Signaling. Namensgebend ist der Haufen (engl. Cluster), den die dendritische und die T-Zelle dabei bilden. Das Besondere an diesem "dritten" IL-6-Signalmodus ist, dass es eine enge zeitliche Kopplung des IL-6 Signals mit anderen Signalen gibt, die die T-Zelle von der dendritischen Zelle empfängt. Wahrscheinlich führt diese zeitliche Kopplung dazu, dass die T-Zelle besonders aggressiv wird und ihr Zielantigen hocheffizient angreift. Derzeit untersucht das Team um Thomas Korn das genaue Zusammenspiel der verschiedenen Signale.

Bereits heute machen sich Teams, die Behandlungsmethoden für verschiedene chronisch entzündliche und Autoimmun-Krankheiten erforschen, den Zusammenhang zwischen IL-6 und pathogenen T-Zellen zunutze. Wenn die Signalgebung durch IL-6 blockiert ist, so die Idee, bilden sich auch keine pathogenen Zellen. Das gilt nicht nur für Multiple Sklerose, sondern beispielsweise auch für rheumatoide Arthritis, die ebenfalls durch Fehler des Immunsystems hervorgerufen wird. "Unsere Forschungsergebnisse können erklären, warum einige dieser Therapieansätze erfolgreich sind und andere nicht", so Prof. Dr. Thomas Korn. "Die verschiedenen Medikamente blockieren oft nur eine bestimmte Methode der Signalübermittlung. Wenn die Übermittlung durch gelöstes IL-6 verhindert wird, kann Cluster-Signaling noch möglich sein", ergänzt Prof. Dr. Ari Waisman.