Mainzer Physiker analysieren Entstehung von Defekten bei Phasenübergängen an Ionenkristallen

Forschungsergebnisse sind relevant für ein Modell zur Entstehung von Strukturen der Materie wenige Sekundenbruchteile nach dem Urknall

07.08.2013

Forschergruppen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig ist es in Kollaboration mit Wissenschaftlern der Universität Ulm und der Hebräischen Universität Jerusalem gelungen, die Entstehung von Defekten bei Phasenübergängen zweiter Ordnung in Ionenkristallen zu untersuchen. Hierbei werden eindimensionale lineare Ketten von Ionen mit hoher Geschwindigkeit wie bei einer Ziehharmonika in eine zweidimensionale Zickzackstruktur gepresst. Bei diesem Übergang kann es zur Bildung von Defekten in der Kristallstruktur kommen. Die Wahrscheinlichkeit der Bildung solcher Defekte hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der der Phasenübergang durchlaufen wird. Der der Entstehung dieser Defekte zugrunde liegende Kibble-Zurek-Mechanismus ist ein universelles physikalisches Gesetz und spielt auch in vielen anderen Systemen eine wichtige Rolle. Auf ihm beruht unter anderem eine Theorie, durch die die Entstehung von Materie 10-30 Sekunden nach dem Urknall erklärt werden kann. Bei den Experimenten in Mainz wurde dieser Effekt mit bisher einmaliger Genauigkeit untersucht und analysiert.

Das Mainzer Forscherteam der Arbeitsgruppe Quanten-, Atom- und Neutronenphysik (QUANTUM) am Institut für Physik der JGU hat 16 Ionen in einer Paul-Falle gefangen. Dort werden Ionen durch elektrische Felder auf sehr kleinem Raum festgehalten und ordnen sich wie Perlen auf einer Ketten an. Nun wird die Länge, auf der die Ionen gefangen sind, drastisch reduziert. Dadurch wird die Ionenkette zusammengedrückt und faltet sich in eine Zickzackstruktur. Die Ionen können sich allerdings entweder in einem Zickzackmuster oder dem spiegelverkehrten Zackzickmuster anordnen. Nimmt die eine Hälfte der Ionenkette eine andere Struktur an als die andere Hälfte, treffen die zueinander spiegelverkehrten Muster in der Mitte zusammen. Da sich die beiden Muster nicht ohne Fehler verbinden lassen, liegt an dieser Stelle folglich ein Defekt in der Struktur des Kristalls vor.

Aufgrund der Form des Fallenpotentials wird der Phasenübergang als erstes in der Mitte der Ionenkette erreicht und breitet sich von hier zu den Enden des Kristalls hin aus. Ist diese Ausbreitung nun schneller als die Informationsgeschwindigkeit zwischen zwei benachbarten Ionen, so kann sich ein Ion nicht an der Struktur seiner Nachbarn orientieren und nimmt eine zufällige Anordnung ein. Daher hängt die Wahrscheinlichkeit zur Entstehung solcher Defekte stark von der Geschwindigkeit ab, mit der der Phasenübergang durchschritten wird. In Ionenfallen kann diese Geschwindigkeit mit hoher Präzision kontrolliert und variiert werden, was den Forschern aus Mainz und Braunschweig ermöglicht hat, die Häufigkeit von Defekten in Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Phasenüberganges zu messen. Das experimentelle Ergebnis bestätigt theoretische Vermutungen des Kibble-Zurek-Mechanismus auf zwei Prozent Genauigkeit.