Aufbau eines weiteren Elektronenbeschleunigers in unterirdischer Forschungsanlage
24.10.2001
Für insgesamt 29 Millionen DM wird in der unterirdischen Forschungsanlage des Mainzer Mikrotrons (MAMI) auf dem Gutenberg-Campus seit Anfang Oktober 2001 ein weiterer Elektronenbeschleuniger, MAMI C, aufgebaut, mit dessen Hilfe die Elektronenenergie künftig nahezu verdoppelt werden soll. "Dieses Projekt dient im Wesentlichen dazu, die kern- und teilchenphysikalischen Experimentiermöglichkeiten am Institut für Kernphysik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu erweitern", erklärt Dr. Karl-Heinz Kaiser, MAMI-Betriebsleiter. Per Bahn wurden im Zollhafen von Mainz zwei 120 Tonnen schwere Eisenteile angeliefert. Diese beiden Teile bilden nach Ergänzung durch große Erregerspulen und Zusammenbau an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen großen Elektromagneten. Zusammen mit drei weiteren Magneten gleicher Bauart, deren Komponenten im Laufe der nächsten sechs Monate ankommen werden, dient der Magnet dem Aufbau eines neuartigen Elektronenbeschleunigers. Dieser Beschleuniger bildet die vierte Stufe des Mainzer Mikrotrons, mit deren Hilfe die Elektronenenergie von derzeit 0.85 GeV auf 1.5 GeV erhöht werden soll. Die kern- und teilchenphysikalischen Experimentiermöglichkeiten am Institut für Kernphysik der JGU werden durch diese mit MAMI C bezeichnete Ausbaustufe des Mainzer Mikrotrons erheblich erweitert. Zudem stellt die neue Beschleunigerstufe ein eigenes beschleunigerphysikalisches Forschungsobjekt dar, indem sie sich von dem bisherigen im MAMI angewandten Beschleunigungsprinzip in Form von "Rennbahnen" unterscheidet.
Die neue Beschleunigerstufe arbeitet nach dem in Mainz entwickelten Prinzip des Harmonischen Doppelseitigen Mikrotrons und besteht aus zwei antiparallel angeordneten Hochfrequenzlinearbeschleunigern, durch die der Strahl zur effizienten Ausnutzung der elektromagnetischen Felder im Laufe des Beschleunigungsprozesses mehrfach, insgesamt 43-mal geführt wird. Die Umlenkung von einer Beschleunigungsstrecke in die nächste erfolgt jeweils durch ein symmetrisches Paar von 90 Grad-Ablenkmagneten mit einem Gesamtgewicht von je etwa 500 Tonnen. Durch die Wahl unterschiedlicher Betriebsfrequenzen für die beiden Linearbeschleuniger, der Grundfrequenz von MAMI (2.45 GHz) und der ersten Harmonischen (4.90 GHz), konnte die Stabilität des Beschleunigungsprozesses in der Simulation entscheidend verbessert werden.
"Mit diesem Prinzip können wir die hohe Betriebsstabilität der Anlage trotz höherer Komplexität beibehalten und ihre Leistung verstärken", so Kaiser. "Der Bau eines vierten Rennbahnmikrotrons nach dem bei den übrigen Stufen von MAMI seit mehreren Jahren sehr erfolgreich angewandten Beschleunigungsprinzip wäre wegen des im GeV-Bereich zu hohen Gewichts seiner 180 Grad-Umlenkmagnete nicht mehr praktikabel."
Von den für den Bau von MAMI C erforderlichen Mitteln von insgesamt etwa 29 Millionen DM werden im Rahmen der Hochschulbauförderung (HBFG) 22 Millionen DM zu gleichen Teilen vom Land Rheinland-Pfalz und vom Bund zur Verfügung gestellt. Die für die Umbaumaßnahmen im Institutsgebäude benötigten sieben Millionen DM trägt das Land. Das Forschungsprogramm wird im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 443 "Vielkörperstruktur stark wechselwirkender Systeme" durchgeführt und zum großen Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Gruppen von Wissenschaftlern kommen aus aller Welt, um Experimente am Mainzer Mikrotron durchzuführen. Diese Experimente liefern nicht nur Erkenntnisse über den Aufbau der Materie, sondern geben auch Aufschluss über anwendungsbezogene Aspekte, wie etwa über neue Diagnosetechniken in der Medizin.