Ergebnisse aus der Gutenberg-Gesundheitsstudie der Universitätsmedizin Mainz
06.09.2016
Die psychische Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits in Deutschland geboren sind, sogenannten Migranten der zweiten Generation, ist vergleichbar mit derjenigen von Menschen ohne Migrationshintergrund. Menschen mit Migrationshintergrund, die nach 1949 selbst zugewandert sind, also Migranten der ersten Generation, leiden hingegen häufiger unter psychischen Problemen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forschungsarbeit im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie.
Obgleich international nachgewiesen ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund besonderen gesundheitlichen und psychosozialen Belastungen ausgesetzt sind, fehlen bisher repräsentative deutsche Studien. Im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie hat ein Forscherteam um Prof. Dr. Manfred Beutel, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, daher ein breites Spektrum psychischer Belastungen bei Menschen mit Migrationshintergrund der ersten und zweiten Generation mit demjenigen bei Menschen ohne Migrationshintergrund verglichen. Untersucht wurden die Querschnittsdaten von 14.943 Teilnehmern der Gutenberg-Gesundheitsstudie, die eine repräsentative Stichprobe der Bevölkerung der Stadt Mainz und des Landkreises Mainz-Bingen im Alter von 35 bis 74 Jahren darstellt.
"In unserer repräsentativen Studie hat knapp ein Viertel der Teilnehmer einen Migrationshintergrund: Dies sind 3.535 Personen, die aus über 100 verschiedenen Ländern stammen", erläutert Beutel. Der Anteil der zugewanderten Migranten der zweiten Generation, die selbst in Deutschland, deren Eltern aber noch im Ausland geboren waren, betrug insgesamt 13 Prozent. Insgesamt 10,6 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund gehörten zur ersten Generation, waren also nach 1949 selbst zugewandert.
"Interessanterweise unterscheidet sich die psychische Gesundheit der in der zweiten Generation in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund nicht von der psychischen Gesundheit der deutschstämmigen Teilnehmer. Dass sie auch im Vergleich zu deutschstämmigen Teilnehmern im Mittel über ein gutes Einkommen und eine gute Bildung verfügen, zeigt, wie erfolgreich sie sich sozial integriert haben", so Beutel weiter.
Anders waren die Befunde bei Menschen mit Migrationshintergrund der ersten Generation. Prof. Dr. Elmar Brähler, Mitautor der Mainzer Studie und als emeritierter Medizinpsychologe an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) tätig, kommentiert: "Menschen mit Migrationshintergrund der ersten Generation gaben auch nach Berücksichtigung der Einflussfaktoren Geschlecht, Alter und Sozialstatus zwischen 20 und 40 Prozent mehr Depressionen, Angst und Suizidgedanken an als deutschstämmige Teilnehmer, obgleich sie im Mittel schon 30 Jahre in Deutschland lebten. Dies gilt vor allem für türkischstämmige Teilnehmer. Sie bilden die zweitgrößte Gruppe der Migranten der ersten Generation in unserer Studie und gaben vor allem deutlich erhöhte Selbstmordgedanken an. Weniger betroffen sind Menschen, die aus Polen stammen und die größte Gruppe bildeten."
"Generell sind psychische Erkrankungen in der Bevölkerung häufig. Sie finden auch nicht zeitnah die erforderliche Behandlung", ergänzt Beutel. "Trotz der überproportionalen seelischen Belastung fanden wir bei der genannten Gruppe keine entsprechend höhere Inanspruchnahme von Medikamenten oder Psychotherapie. Das bedeutet, dass wir davon ausgehen müssen, dass viele depressive Beschwerden und damit einhergehende Selbstmordgedanken in dieser Gruppe unbehandelt bleiben."
Bei der Gutenberg-Gesundheitsstudie handelt es sich um eine der wenigen repräsentativ angelegten Bevölkerungsuntersuchungen zu diesem Thema. Sie lässt sich aufgrund der deutschsprachigen Erhebungsinstrumente aber nur auf Personen mit guten Deutschkenntnissen verallgemeinern, die bereits seit vielen Jahren in der Region wohnen. Keine Aussage ist im Hinblick auf die aktuelle Situation der Flüchtlinge möglich. Weitere Auswertungen sollen Risikokonstellationen und mögliche Ursachen der psychischen Belastungen ergründen. "Das wird letztlich dabei helfen, geeignete Maßnahmen wie beispielsweise kultursensible Versorgungsangebote einzurichten, die die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund schon in der ersten Generation verbessern", ist Beutel überzeugt.