Künstliches Enzym kann natürlichen Entgiftungsmechanismus in Leberzellen imitieren

Molybdänoxid-Nanopartikel können Funktion des körpereigenen Enzyms Sulfitoxidase übernehmen / Perspektiven für therapeutischen Einsatz

04.06.2014

Nanopartikel aus Molybdänoxid können einer neuen Studie zufolge in Leberzellen Sulfit zu Sulfat umwandeln und erfüllen damit eine ähnliche Funktion wie das körpereigene Enzym Sulfitoxidase. Wie Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) herausgefunden haben, sind funktionalisierte Molybdäntrioxid-Nanopartikel in der Lage, Zellmembranen zu passieren und sich im Zellinnern an den Mitochondrien anzuheften, wo sie dann die Aktivität der Sulfitoxidase übernehmen können.

Sulfitoxidase ist ein molybdänhaltiges Enzym in den Mitochondrien von Leber- und Nierenzellen, das beim Eiweiß- und Fettstoffwechsel die Oxidation von Sulfit zu Sulfat katalysiert und damit eine wichtige Rolle bei der Zellentgiftung spielt. Ein Sulfitoxidase-Mangel ist eine seltene genetisch bedingte, jedoch schwere Erkrankung. Sie verursacht neurologische Störungen, geistige Behinderung, physische Deformationen sowie einen Abbau des Gehirns und führt schließlich zum frühzeitigen Tod. Verschiedene Ernährungs- und Arzneimitteltherapien waren bislang wenig erfolgreich.

Ausgangspunkt für die Mainzer Forschungen war die Tatsache, dass Molybdänoxid im aktiven Zentrum des Enzyms vorkommt und dort für die Oxidation des toxischen Sulfits sorgt. Die beteiligten Wissenschaftler um Prof. Dr. Wolfgang Tremel vom Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie sowie Dr. Dennis Strand und Prof. Dr. Susanne Strand von der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz hoffen, dass die neue Entdeckung die Basis für eine therapeutische Anwendung von Molybdäntrioxid-Nanopartikeln schafft und so auch einen neuen Weg, um diese Krankheit zu behandeln.

Auch bei ansonsten gesunden Menschen kann ein Mangel an Sulfitoxidase Beschwerden hervorrufen. Sulfite kommen unter anderem als Konservierungsstoffe in Nahrungsmitteln wie zum Beispiel in Rotwein, Grapefruitsaft oder eingelegtem Gemüse vor. Menschen mit niedrigem Sulfitoxidase-Spiegel reagieren auf den Genuss unter Umständen mit Müdigkeit, Asthma, fallendem Blutzuckerspiegel oder Kopfschmerzen.

Mit ihrer Studie betreten die Mainzer Wissenschaftler Neuland, denn bislang gibt es nur wenige Beispiele von Nanopartikeln, die eine Enzymaktivität besitzen. "Es ist sehr erstaunlich, dass einfache anorganische Nanopartikel eine Enzymaktivität nachahmen können", so Ruben Ragg, Erstautor der Studie. In einer früheren Arbeit hatten Wissenschaftler um Wolfgang Tremel gezeigt, dass Nanostäbchen aus Vanadiumoxid in Schiffslacken durch ihre enzymatische Aktivität effektiv vor Ablagerungen schützen. "Es ist ein altes Ziel der Chemie, künstliche Enzyme herzustellen, die die grundlegenden und allgemeinen Prinzipien von natürlichen Enzymen imitieren", erklärt Tremel. Zwar wurde bereits über einige Nanomaterialien mit enzymähnlichen Eigenschaften berichtet, aber die wirkliche Krönung der Enzym-Chemie wäre es, Veränderungen in den Zellen zu katalysieren, während gleichzeitig andere konkurrierende Reaktionen ablaufen – und dies ist schwierig zu erreichen. Künstliche Enzyme sind daher hilfreich, um den Reaktionsmechanismus natürlicher Enzyme zu verstehen, aber auch für die künftige Anwendung als Therapeutika.

Dabei würde der Einsatz von Molybdänoxid-Nanopartikeln einige Vorteile mit sich bringen. "Molybdänoxid-Partikel sind wesentlich günstiger und auch stabiler als gentechnisch hergestellte Enzyme", ergänzt Dr. Filipe Natalio, Kooperationspartner der Mainzer Gruppe von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Natalio entwirft neue Materialien, die komplexe Strukturen aus der Natur nachahmen, indem er Experten aus unterschiedlichen Bereichen von den Materialwissenschaften über die Biologie bis zur Chemie zusammenbringt. Als nächste Aufgabe wollen die beteiligten Wissenschaftler testen, ob die Enzymaktivität der Molybdäntrioxid-Nanopartikel auch im lebendigen Organismus erhalten bleibt.

Die Studie wurde durch eine interdisziplinäre Zuwendung des Naturwissenschaftlich-Medizinischen Forschungszentrums (NMFZ) der JGU sowie dem Max Planck Graduate Center (MPGC) gefördert.