Kleine Moleküle mit großer Wirkung: Wie Krebszellen ihr Überleben sichern

Mainzer Wissenschaftler identifizieren Mechanismus für Chemotherapie-Resistenz

10.12.2008

Ein Team von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Roland Stauber von der Mainzer Universitäts-HNO-Klinik hat einen molekularen Mechanismus identifiziert, mit dem sich Krebszellen gegen eine Behandlung durch Chemotherapeutika "wehren" und so versuchen, ihr Überleben sichern. Dabei spielen sowohl der kleine Botenstoff Stickstoffmonoxid als auch das Eiweiß Survivin eine Rolle. Die Ergebnisse der bei Kopf-Halstumoren durchgeführten Studie sind kürzlich im International Journal of Cancer erschienen. In einer weiteren Veröffentlichung im Sommer 2008 in der Zeitschrift Cancer Research hatten die Wissenschaftler bereits einen ähnlichen Mechanismus bei Eierstockkarzinomen entdeckt. Dies lässt vermuten, dass es sich bei der sogenannten NO/Survivin-Achse um ein übergeordnetes Prinzip handelt, das bei verschiedensten Krebsarten eine Rolle spielt.

Jährlich erkranken mindestens 10.000 Menschen an bösartigen Kopf-Halstumoren. Trotz guter Behandlungserfolge durch Operation, Bestrahlung und/oder Chemotherapie entwickelt ein Großteil dieser Patienten nach der Erstbehandlung ein Rezidiv und oftmals treten Fernmetastasen auf. Die molekularen Ursachen für die Entstehung und Progression von Kopf-Hals-Karzinomen sowie deren Therapieansprechen sind immer noch unzureichend verstanden.

In der umfangreichen aktuellen Studie konnten die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Mainz erstmalig die molekularen Grundlagen erarbeiten, auf welche Weise der kleine Botenstoff Stickstoffmonoxid (NO) zum Wachstum und zur Therapieresistenz von Kopf-Hals-Karzinomen beiträgt. NO spielt eine Rolle bei zahlreichen physiologischen, aber auch krankhaften Prozessen: So stellen beispielsweise die meisten Krebszellen vermehrt NO her und scheinen sich dadurch einen Überlebensvorteil zu sichern. Wie, war jedoch bislang unklar. Nun gelang es den Mainzer Forschern nachzuweisen, dass NO bzw. das NO-erzeugende Eiweiß – im Fachjargon iNOS – die Bildung eines weiteren Eiweiß, des sogenannten Survivins, induziert. Der Name Survivin ist vom englischen Verb "to survive" – "überleben" – abgeleitet, was zugleich einen Hinweis auf seine Funktion gibt: So wurde Survivin von den Forschern erst 2007 als einer der zentralen Faktoren identifiziert, der für Rezidiventstehung und Therapieresistenz bei Tumoren der Kopf-Hals-Region wichtig ist, indem er den programmierten Zelltod der Krebszellen verhindert. In den Krebszellen werden durch die vermehrte Bildung von iNOS und damit des Botenstoffs NO bestimmte Signalwege aktiviert, die letztendlich zur vermehrten Herstellung von Survivin führen. Dessen Eigenschaften als Inhibitor des programmierten Zelltods wiederum werden von den Krebszellen genutzt, um sich gegen den Angriff von Chemotherapeutika oder Strahlentherapie zu schützen. Die Krebszellen aktivieren über die Achse "iNOS/Survivin" sozusagen ein Überlebensprogramm.

"Dieses neuartige molekulare Verständnis der Abwehrmechanismen von Krebszellen erlaubt es uns nun, diese Abwehrmechanismen gezielt anzugreifen", berichtet Prof. Dr. Roland Stauber, Leiter der Abteilung Molekulare und Zelluläre Onkologie. Erste Erfolg versprechende Ergebnisse an Krebszellen in Kultur, die ebenfalls im Rahmen der aktuellen Studie durchgeführt wurden, zeigten bereits, dass durch den kombinierten Einsatz chemischer iNOS-Inhibitoren zusammen mit einer Blockade der Survivin-Produktion Tumorzellen effizient in den Zelltod getrieben werden können.

Doch die Forscher gehen noch einen Schritt weiter. "Dass es sich hierbei um einen Mechanismus handelt, der keinesfalls nur auf Kopf-Hals-Tumore beschränkt ist, haben wir bereits im Sommer 2008 gezeigt, als wir die Bedeutung der iNOS/Survivin-Achse bei Eierstockkrebs aufgedeckt haben", erläutert Stauber. "Diese Ergebnisse bestätigen unseren multidisziplinären Ansatz, in dem wir über die Grundlagenforschung Mechanismen identifizieren, die dann im engen Austausch mit verschiedenen medizinischen Disziplinen gleichzeitig in unterschiedlichen Tumorentitäten überprüft werden. So können wir auch indikationsübergreifende Mechanismen effektiv und schnell identifizieren. Dies nützt letztlich den Patienten, denn die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung kommen schneller bei ihnen an."

Die Herausforderung für die Kliniker und Wissenschaftler besteht nun darin, die Effektivität und Sicherheit dieser Strategie in Tumormodellen zu überprüfen, um so eine mögliche klinische Anwendung besser einschätzen zu können. "Diese aufwendigen Untersuchungen können jedoch nur mit Unterstützung nationaler Förderorganisationen durchgeführt werden", so Stauber. "Wir hoffen daher, dass unsere indikationsübergreifende Forschung auch weiterhin Unterstützung findet."