Untersuchung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz weist Auswirkungen der Klimaveränderung nach
02.02.2007
In einer Untersuchung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist erstmals nachgewiesen worden, dass die Klimaveränderung die entscheidende Ursache für die Veränderung des Vogelbestands in Mitteleuropa darstellt. "Wir haben dank der hervorragenden Arbeit von Amateurwissenschaftlern am Bodensee einen sehr guten Überblick über die Bestandsentwicklung im Verlauf von 23 Jahren und sehen teilweise drastische Entwicklungen, die allein auf die globale Erwärmung zurückgehen", sagt Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese vom Institut für Zoologie der JGU. Es zeigt sich, dass südliche Arten, die üblicherweise im Mittelmeerraum heimisch sind, neu einwandern oder in ihren Beständen zunehmen, während nördliche Arten, die ursprünglich am Bodensee zu Hause waren, zurückgehen und ihre Brutgebiete in den Norden verlagern. Diese Entwicklung dürfte auch in Zukunft anhalten: "Ich erwarte, dass noch weit mehr Klimaflüchtlinge aus dem Mittelmeerraum hier auftauchen", so Böhning-Gaese. Die Studie über die Auswirkungen von Klima und Landnutzung auf den Vogelbestand wird in der renommierten Fachzeitschrift Conservation Biology publiziert.
Unter dem Dach der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Bodensee in Konstanz haben sogenannte Citizen Scientists in drei Zeiträumen jeweils zu Beginn der 1980er-und 1990er-Jahre sowie zu Beginn dieses Jahrhunderts die Vogelpopulation um den Bodensee auf deutschem, schweizerischem und österreichischem Gebiet erfasst. Dabei kartieren die Hobbyornithologen am frühen Morgen mit der besten Methodik, die derzeit zur Verfügung steht, jeweils Gebiete von vier Quadratkilometern Größe und notieren anhand von Aussehen und Stimme die Art und Häufigkeit der vorkommenden Vogelarten. "Diese Daten sind für uns von großem Wert, da wir ansonsten keinen zuverlässigen Überblick über die Bestände hätten", betont Böhning-Gaese. Zusammen mit ihrer Doktorandin Nicole Lemoine sowie Hans-Günther Bauer und Markus Peintinger vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell hat die Mainzer Biologieprofessorin diese Daten ausgewertet und Unerwartetes festgestellt: Seit Endes des Zweiten Weltkrieges war die Intensivierung der Landwirtschaft der wichtigste Faktor bei der Veränderung der Vogelbestände, wobei die Vögel der Agrarlandschaft wie die Feldlerche, das Rebhuhn oder der Kiebitz zurückgegangen sind. Dieser Einflussfaktor wird jetzt erstmals durch den Klimafaktor weit übertroffen. "Die Entwicklung ist so signifikant, dass es uns schon sehr überrascht hat, wie drastisch das Klima bei uns in Mitteleuropa die Vogelpopulationen beeinflusst."
Die Temperatur am Bodensee hat in dem Untersuchungszeitraum zwischen 1980 und 2002 im Winter um 2,7 Grad und im Frühjahr zur Brutzeit der Vögel um 2,1 Grad zugenommen. Im Gegensatz zu Pflanzen oder Amphibien sind Vögel aber flexibel und können sich schnell anpassen. Arten, die eigentlich nach Südeuropa gehören, wandern also bei uns ein oder vermehren sich stärker. Arten, die hier ursprünglich heimisch sind, weichen zunehmen nach Norden aus. So sind beispielsweise bei der dritten Kartierung erstmals die Felsenschwalbe, die Zippammer und der Orpheusspötter gesichtet worden – alles südliche, mediterrane Arten. Seit der ersten Kartierung im Jahr 1980 hat dagegen der Bestand bei den Uferschnepfen um 84 Prozent und beim Gelbspötter um 74 Prozent abgenommen.
Insgesamt ergibt sich vorerst ein Zugewinn an Arten: Im Untersuchungszeitraum ist die Artenzahl von 141 auf 154 gestiegen. "Derzeit gehören wir also noch zu den Klimagewinnern", so Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese. Problematisch ist allerdings, dass Arten im nördlichen Skandinavien oder in Hochlagen von Gebirgen schon jetzt kaum noch Ausweichmöglichkeiten haben. Die weitere Entwicklung dürfte nach Ansicht der Vogelexpertin den bisherigen Trend bestätigen. Es steht zu erwarten, dass noch mehr Klimaflüchtlinge aus dem Mittelmeerraum hier auftauchen und heimische Arten ihr Brutgebiet vermehrt nach Norden verlagern. "Die Vorbereitungen für die nächste Kartierung im Jahr 2010 laufen schon, dann werden wir mehr wissen." Das Team um Böhning-Gaese hat mit der Auswertung der Daten vom Bodensee weltweit erstmals den eindeutigen Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Bestandsveränderung nachgewiesen. In anderen Ländern und Regionen wie Großbritannien, Skandinavien und den USA, die ebenfalls über hervorragende Datensätze verfügen, werden diese Fragestellungen derzeit noch bearbeitet.