Diskrepanz zwischen Kompetenzeinschätzung und Wissen seitens der Nutzer bei Internetsuche
15.08.2013
Suchmaschinen sind nach wie vor der wichtigste Einstiegspunkt ins Internet. Allerdings können die wenigsten Nutzer sicher mit ihnen umgehen, wie eine Studie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) zeigt. Bei der Informationssuche lassen sich deutsche Nutzer, die zu über 90 Prozent die Google-Suchfunktion verwenden, stark von Suchmaschinen leiten, etwa durch die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen. Weil nur wenige Nutzer sicher und kritisch mit den Ergebnissen umgehen können, sollte die Verantwortung für ausgeglichene und vielfältige Informationsquellen auch bei den Betreibern von Suchmaschinen liegen. Die Mainzer Studie fordert daher, Suchmaschinen stärker als bisher medienrechtlich zu regulieren, und entwickelt dafür drei maßgebliche Leitlinien: Neutralität, Transparenz und Kompetenz.
"Ziel der Studie war es zu untersuchen, wie Nutzer im Internet nach Informationen suchen und welche Rolle Suchmaschinen in diesem Prozess spielen", erklärt die Initiatorin der Studie, Prof. Dr. Birgit Stark vom Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Gemeinsam mit ihren Projektpartnern Prof. Dr. Dieter Dörr von der Abteilung Rechtswissenschaft und Prof. Dr. Stefan Aufenanger vom Institut für Erziehungswissenschaft der JGU hat Stark eine Online-Befragung zur Internetnutzung sowie zum Umgang mit und Wissen über Suchmaschinen durchgeführt.
Die Studienergebnisse bestätigen Googles Marktdominanz: Anders als andere Suchmaschinen war Google allen Befragten bekannt und wird von fast allen auch am häufigsten genutzt. Viele nutzen die Google-Internetsuche weitgehend unkritisch und wissen nur wenig darüber, wie Trefferlisten zustande kommen und wodurch diese beeinflusst werden – etwa durch Personalisierungsprozesse, mittels derer auf Basis gespeicherter Daten über bisherige Suchvorgänge jedem Nutzer Trefferlisten präsentiert werden, die zu seinen bisherigen Suchanfragen und den daraus rekonstruierten Interessen passen.
Der Großteil der Befragten bewertet die eigene Kompetenz im Umgang mit Suchmaschinen als gut, schneidet in einem formalen Wissenstest über die Funktionsweise von Google aber schlecht ab. Viele lehnen einerseits die Speicherung ihrer Daten explizit ab, finden andererseits aber die daraus resultierenden, auf sie zugeschnittenen Suchergebnisse begrüßenswert. Im Quasi-Monopol von Google wird zwar ein zu großes Machtpotenzial erkannt, zugleich wird aber zugestanden, dass dieses durch das "beste Angebot" gerechtfertigt sei. Die Studienergebnisse belegen ein mangelndes Problembewusstsein und einen weitgehend unkritischen Umgang mit Google, insbesondere bei Nutzern unter 30 Jahren.
Angesichts der mangelnden Suchmaschinenkompetenz vieler Internetnutzer sehen die Autoren der interdisziplinären Studie "Die Googleisierung der Informationssuche" die Notwendigkeit, Suchmaschinen stärker als bisher medienrechtlich zu regulieren. Bislang können diese als relativ junges Phänomen der Massenmedien nicht unter die gültigen Regelungen des Medienkonzentrations- und Wettbewerbsrechts subsummiert werden. Auch Selbstregulierungsmaßnahmen der Suchmaschinenanbieter blieben bisher wirkungslos.
Als Ansatzpunkte einer sinnvollen Regulierung identifiziert die Mainzer Studie drei zentrale Orientierungspunkte für eine Neuregulierung: Neutralität, Transparenz und Kompetenz. Neutralität bezeichnet gleiche Chancen auf aussichtsreiche Rankingplätze in Trefferlisten für alle Anbieter von Webinhalten. Um den Nutzern eine solche neutrale Auswahl aus dem gesamten Angebotsspektrum zu ermöglichen, dürfen Suchmaschinenbetreiber keinen Einfluss auf das Ranking von Suchergebnissen nehmen. Transparenz zielt auf die hinreichende Offenlegung der Funktionsweise von Suchmaschinen, um interne und externe Manipulationen und Verfälschungen der Trefferlisten erkennen zu können. Die Manipulationsgefahr muss auch stärker in das Bewusstsein der Nutzer rücken. Kompetenz zieht in Betracht, dass die größtmögliche Vielfalt im Internet wirkungslos bleibt, wenn Nutzer keinen Gebrauch von ihr machen. Die Stärkung der Medienkompetenz kann dieses Risiko mindern, indem Nutzer auf ihre eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Eigenverantwortung hingewiesen. Dafür müssen die Suchmaschinenanbieter in die Pflicht genommen werden. Diese drei Kriterien sollte der Gesetzgeber bei der Erarbeitung entsprechender Handlungsoptionen berücksichtigen. Anspruch einer künftigen Regulierung muss sein, die Meinungsvielfalt zu sichern, ohne unverhältnismäßig in den Wettbewerb und die dynamischen Entwicklungsprozesse der digitalen Medien einzugreifen.
Das Forschungsprojekt "Die Googleisierung der Informationssuche" wird vom Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefördert. Ziel des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts ist es, die rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Medienevolution, ihre kulturellen Potenziale und kreativen Möglichkeiten kritisch zu erfassen und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die durch die Medienkonvergenz induzierten Veränderungsprozesse können nur im interdisziplinären Verbund adäquat erforscht werden. Entsprechend kooperieren im Forschungsschwerpunkt die geistes- und die sozialwissenschaftlich orientierten Medienfächer der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Buchwissenschaft, Journalistik, Publizistik, Film- und Theaterwissenschaft, Neurolinguistik) mit Medienrecht, Medienpädagogik, Medienkunst sowie Medienökonomie, Informatik und Suchtprävention.