Forderung nach mehr Sicherheit bei der Gabe von Medikamenten durch Rettungsassistenten

Experten erarbeiten Entwurf für bundesweite Initiative

24.11.2009

Ist die Gabe von Medikamenten durch nichtärztliches Assistenzpersonal im Rettungsdienst eine Kompetenzüberschreitung oder ist die Nichtverabreichung eine unterlassene Hilfeleistung? Da diese Fragen seit langem rechtlich und medizinisch umstritten sind, handeln Rettungsassistenten und Notärzte täglich in einer Grauzone. Die Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte (agswn) und die Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz fordern gemeinsam mit Vertretern der medizinischen Fachgesellschaften, Juristen und Pharmazeuten Klarheit. Im Rahmen eines Expertentreffens haben sie nun in Mainz einen Entwurf für eine bundesweite Initiative erarbeitet, die einer größeren Handlungssicherheit und einer besseren Patientenversorgung dienen soll.

Deutschland verfügt über ein gut strukturiertes und international anerkanntes arztgestütztes Rettungswesen. Dieses System stellt in Notfällen rund um die Uhr eine hochwertige außerklinische Patientenversorgung mittels speziell ausgebildeter Teams aus Notärzten (Notarzteinsatzfahrzeug oder Rettungshubschrauber) und Rettungsassistenten (Rettungswagen) sicher. Bei bestimmten lebensbedrohlichen Krankheitsbildern kann es jedoch erforderlich werden, Medikamente sofort zu geben, um das Leben des Patienten zu retten, auch wenn der Notarzt erst nach dem Rettungsassistenten am Notfallort eintrifft. "Allerdings ist die Gabe von Medikamenten durch Rettungsassistenten rechtlich und medizinisch in kritischer Diskussion. Nur Notärzte dürfen nach Aufklärung des Patienten die hochwirksamen verschreibungspflichtigen Notfallmedikamente verordnen", erklärt Prof. Dr. Christian Werner, Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Mainz.

Seit einigen Jahren gibt es Regelungen (Notkompetenz), die es auch Rettungsassistenten ermöglichen sollen, in Einzelfällen unter definierten Bedingungen Medikamente zu verabreichen. Standardisierte Ablaufprotokolle, spezielle Schulungen und regelmäßige Prüfungen geben den Rettungsassistenten eine relative Sicherheit in Diagnosestellung und Therapie einzelner Erkrankungen. Diese lebensrettenden Maßnahmen ersetzen nicht die erforderliche medizinische Behandlung durch einen Notarzt.

Eine Ausnahme stellt die Behandlung starker Schmerzen dar. Sind diese nicht Symptom eines akut lebensbedrohlichen Krankheitsbildes besteht keine absolute Behandlungsindikation. Jedoch bedeutet dieses für Notfallpatienten eine erhebliche - auch subjektive - Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes. Eine zufriedenstellende Behandlung kann oft durch konservative Maßnahmen, wie Schienen eines Bruchs oder Lagerung, erreicht werden. In den übrigen Fällen ist es aus medizinischer Sicht sinnvoll, eine frühzeitige und effektive Schmerztherapie zu beginnen. Derzeit erlauben die Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes keinen Einsatz von hochpotenten Schmerzmitteln (Opioiden) durch Rettungsassistenten. Daher wird in wenigen Rettungsdienstbereichen ersatzweise das Narkosemedikament Ketamin verwendet. Jedoch ist dieses Medikament - wie andere Nichtopioide auch - aufgrund möglicher schwerwiegender Nebenwirkungen zur Behandlung schwerer Schmerzzustände vergleichsweise ungeeignet.

"Daher ist eine Überarbeitung des Betäubungsmittelgesetzes, mit dem Ziel spezielle Opioide in definierten Darreichungsformen bei strenger Indikationsstellung zur Anwendung durch Rettungsassistenten verfügbar zu machen, sinnvoll. Dieses setzt gleichzeitig eine entsprechend erweiterte Ausbildung der Rettungsassistenten sowie die Einbindung der für die Umsetzung verantwortlichen Ärztlichen Leiter Rettungsdienst (ÄLRD) voraus. Ohne die Struktur einer von Hilfsorganisationen unabhängigen ärztlichen Supervision ist diese Verantwortungsübernahme nicht umsetzbar. Aus diesem Grund empfiehlt das Expertengremium eine breite Diskussion der Thematik mit Vertretern der Gesetzgeber, ÄLRD und Rettungsassistenten", betont Dr. Carsten Lott, Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte e.V. (agswn). Die agswn wird gemeinsam mit der Klinik für Anästhesiologie zeitnah entsprechende Treffen initiieren.

Neben den lebensbedrohlichen Notfallsituationen und starken Schmerzen gibt es auch eine Vielzahl von Akutsituationen, die eine medikamentöse Therapie durch den Notarzt erforderlich machen. In diesen Situationen kommt eine Medikamentengabe durch den Rettungsassistenten nicht in Frage, da das mögliche Risiko von Nebenwirkungen und deren Behandlung die Kompetenz des Rettungsassistenten übersteigt, den zu erwartenden Nutzen eliminiert und damit die Patientensicherheit gefährdet. Zudem fehlt bei diesen "relativen Indikationen" die rechtliche Grundlage zur Gabe von Medikamenten.

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Gemeinsame Pressemitteilung
der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte, des Berufsverbands Deutscher Internisten, des Bundesverbands der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst Deutschland, der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, des Deutschen Rates für Wiederbelebung - German Resuscitation Council, des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement, Klinikum der Universität München, der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz und der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz