Zweiter ERC Advanced Grant für Matthias Neubert

Neuartige theoretische Vorhersagen sollen Suche nach neuer Physik am LHC voranbringen / Förderung in Höhe von 2,5 Millionen Euro

30.03.2023

Prof. Dr. Matthias Neubert von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erhält für Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Theoretischen Elementarteilchenphysik eine Förderung des Europäischen Forschungsrats über knapp 2,5 Millionen Euro. Er möchte sich in seinem vorgeschlagenen Projekt "EFT4jets" auf die theoretische Beschreibung sogenannter Jet-Prozesse auf Basis effektiver Feldtheorien konzentrieren. Damit soll es erstmals gelingen, subtile Quanteneffekte zu beschreiben, die sich bisher einer quantitativen theoretischen Beschreibung entzogen haben. Ein vertieftes Verständnis dieser Prozesse wird essenziell sein, um bei den Beschleunigerexperimenten am Large Hadron Collider (LHC) des CERN Hinweise auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik zu entdecken. Der ERC Advanced Grant ist die höchstdotierte Einzelfördermaßnahme der EU, die durch den Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) an herausragende Forscherinnen und Forscher aller Fachrichtungen vergeben wird. Für Prof. Dr. Matthias Neubert ist es bereits die zweite Auszeichnung dieser Art.

Physik in kleinsten Dimensionen grundlegend verstehen

In den letzten Jahren haben verschiedene teilchenphysikalische Messungen mit vielversprechenden Hinweisen auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells für Aufsehen gesorgt, allen voran das anomale magnetische Moment des Myons, dessen theoretische Vorhersage signifikant vom gemessenen Wert abweicht. Auf der anderen Seite ist es bisher noch nicht gelungen, die für diese Diskrepanz verantwortlichen neuen, schweren Elementarteilchen am LHC zu entdecken.

Angesichts dieses Dilemmas lautet die Ausgangsfrage des von Prof. Dr. Matthias Neubert vorgeschlagenen Forschungsprogramms "An Effective Field Theory for Non-Global Observables at Hadron Colliders", kurz EFT4jets: Welche Strategie sollte man vonseiten der Theorie verfolgen, um das Entdeckungspotenzial des LHC als weltweit leistungsstärkstem Hochenergie-Teilchenbeschleuniger voll auszuschöpfen? "In den LHC-Daten könnten sich bereits heute subtile Signale für neue physikalische Phänomene verbergen. Uns fehlen jedoch die präzisen theoretischen Methoden, die notwendig wären, sie zu entdecken", erläutert Neubert. In diesem Zusammenhang zählen sogenannte Jet-Prozesse zu den interessantesten Beobachtungen. Es ist das Ziel des geplanten Forschungsprogramms, diese theoretisch zu durchdringen.

Derartige Jets entstehen bei der Kollision von Teilchen bei höchsten Energien. Sie bestehen aus den Bruchstücken der aufeinanderprallenden Elementarteilchen – den Quarks und Gluonen – und sind daher besonders spannend im Zusammenhang mit den grundlegenden Kräften, die bei kleinsten Entfernungen wirken. Neue und leistungsfähige theoretische Methoden sind erforderlich, um Quanteneffekte, die diese Prozesse sowohl im Standardmodell als auch in dessen Erweiterungen mit neuen Teilchen beeinflussen, vollständig zu kontrollieren. "Bereits seit 2006 wird vermutet, dass die starke Wechselwirkung zwischen den kollidierenden Teilchen zu subtilen quantenmechanischen Effekten führt, der sogenannten Verschränkung von Quantenteilchen. Ähnliche Effekte ermöglichen den Quantencomputer und die Quantenteleportation, aber es gab es bisher noch keine theoretischen Methoden, mit denen ihr Einfluss auf die Messdaten von Prozessen an Teilchenbeschleunigern berechnet werden konnte", erklärt  Prof. Dr. Matthias Neubert. "Diese Lücke möchte ich mit meinem Forschungsprojekt schließen." Erste bahnbrechende theoretische Grundlagen zu diesem Vorhaben hat Neubert im Jahr 2021 gemeinsam mit Prof. Dr. Thomas Becher von der Universität Bern und Prof. Ding Yu Shao von der Fudan University in Shanghai in den renommierten Physical Review Letters publiziert.

"Wenn wir die Physik hinter diesen Prozessen noch besser verstehen, versetzt uns das in die Lage, gezielter nach neuen Phänomenen zu suchen. Wir wissen dann sozusagen, worauf wir achten und nach welchen Ereignissen wir in den LHC-Experimenten suchen müssen", so Neubert. Einige Prozesse stehen dabei im Fokus, deren Verständnis von besonders großer Bedeutung im Hinblick auf die Suche nach neuer Physik ist. Dazu zählen die Produktion von Higgs-Bosonen und die Suche nach Teilchen der dunklen Materie, jeweils in Verbindung mit einem oder mehreren Jets. "Wir werden durch unseren Ansatz sehr detaillierte Vorhersagen für diese wichtigen Prozesse erhalten. Unsere neuen Methoden werden genauere Berechnungen als je zuvor ermöglichen, wodurch das Entdeckungspotenzial des LHC für neue Physik deutlich erhöht wird."

Zweiter ERC Advanced Grant für Matthias Neubert

Matthias Neubert studierte Physik in Siegen und Heidelberg, wo er 1990 promovierte. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Stanford University in den USA wechselte er 1993 als Staff Scientist ans Europäische Forschungszentrum CERN nahe Genf. 1999 folgte er einem Ruf an die renommierte Cornell University in den USA, wo er noch heute als Adjunct Professor tätig ist. Seit 2006 hat er die Professur für Theoretische Hochenergiephysik an der JGU inne. Seit 2012 ist er zudem Sprecher des Exzellenzclusters PRISMA und des Folgeclusters PRISMA+ sowie Direktor des Mainzer Instituts für Theoretische Physik (MITP). Seinen ersten ERC Advanced Grant erhielt Matthias Neubert im Jahr 2011. Er ist einer der meistzitierten theoretischen Physiker Deutschlands und seine Forschungsergebnisse sind in über 250 Publikationen und Übersichtsartikeln erschienen. Neubert ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Dem Mainzer Publikum ist er auch als Veranstalter der populären Vortragsreihe "Physik im Theater" bekannt, in der einem breiten Publikum aktuelle Ergebnisse aus der physikalischen Grundlagenforschung nahegebracht werden.

ERC Advanced Grants werden an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, um Projekte durchzuführen, die aufgrund ihres innovativen Ansatzes als hochriskant gelten, die genau dadurch aber erst neue Wege im jeweiligen Forschungsfeld eröffnen. Die Förderung erhalten nur Forscherinnen und Forscher, die bereits bedeutende Errungenschaften vorweisen können und die seit mindestens zehn Jahren auf international höchstem Niveau erfolgreich gearbeitet haben. Ausschlaggebend für die ERC-Förderung ist allein die wissenschaftliche Exzellenz der Forschenden und ihres Forschungsprojekts. Damit ist der ERC Grant auch als hohe individuelle Auszeichnung zu verstehen.