Enhanced E-Books und Buch-Apps auf deutschem Markt kaum erhältlich

Multimodal erweiterte digitale Bücher fristen in Deutschland ein Nischendasein / Inhaltlich und methodisch moderne Buchwissenschaft hat einmalige Chance zur Mitgestaltung der Zukunft des Buchs in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen

11.01.2023

In Deutschland sind kaum digitale Bücher auf dem Markt, die über den reinen Text und Bilder hinaus zusätzliche Medienelemente wie zum Beispiel Videos, Audios oder Simulationen enthalten. Mit dem Markt der sogenannten Enhanced E-Books und Book-Apps haben sich unter der Leitung von Prof. Dr. Christoph Bläsi Masterstudierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) beschäftigt – nicht nur zur Einübung von wissenschaftlichen Methoden, sondern vor allem, weil sich in jüngerer Zeit weder die Wissenschaft noch die Buchbranche mit dem Thema befasst hat. Nach Einschätzung der Studierenden ist die aktuelle Situation im Hinblick auf die Vielfalt und zwingende Originalität der verfügbaren Produkte wirklich unbefriedigend und bleibt weit hinter den offensichtlichen Möglichkeiten zurück. "In Deutschland werden erstaunlich wenige Produkte aus dem Bereich Enhanced E-Books und Buch-Apps angeboten. Dies ist zum einen auf die hohen Entwicklungskosten zurückzuführen, zum anderen scheint aber auch die Zielgruppe für solche Bücher im Moment noch begrenzt", so Buchwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Bläsi. Die Studierenden sind in der Master-Übung zum Thema "Technologie und Ästhetik des Buchs im digitalen Zeitalter" zu der Ansicht gelangt, dass es aus verschiedenen Gründen wünschenswert wäre, wenn es auf dem deutschen Buchmarkt mehr und bessere Enhanced E-Books und Buch-Apps geben würde – und sie haben auch Vorschläge in dieser Hinsicht unterbreitet.

Produkten auf dem deutschen Markt fehlt es an Kreativität und einfacher Bedienbarkeit

Ein E-Book ist die digitale Ausgabe eines gedruckten Buchs oder originärer textbasierter Langforminhalt, der am Computer, auf Tablets oder E-Readern gelesen werden kann. "Enhanced" bezeichnet die zusätzliche Ausstattung eines solchen Produkts mit Medienelementen aller Art. So kann beispielsweise ein Vorgang mit einer Animation viel klarer dargestellt werden als mit einem Text oder einer Bildfolge. "Außerdem kann die Verbindung von Text, Bild, Video, Audio und Interaktion auch für Leserinnen und Leser interessant sein, die nur selten zu einem gedruckten Buch greifen", so Bläsi. Allerdings gelangten die Studierenden zu der Einschätzung, dass die wenigen Produkte auf dem deutschen Markt meist doch relativ nahe am gedruckten Buch gestaltet sind und daher von einer einnehmenden Lust am Experimentieren nicht viel zu sehen sei. Häufig komme noch hinzu, dass die Benutzung nicht intuitiv sei.

Dabei böten sich der Untersuchung zufolge zahlreiche Anwendungsgebiete für Enhanced E-Books und Book-Apps an. Besonders der E-Learning-Bereich wird genannt: Schülerinnen und Schüler könnten mit angepassten Übungen auf ihrem Niveau abgeholt und gefördert werden – dieser Anwendungsfall baut auf den Aspekt, dass auch Interaktivität beziehungsweise die interaktive, individuelle Inhaltszusammenstellung eine Eigenschaft solcher "erweiterter" digitaler Bücher sein kann. Zudem könnten Videos oder Audios dazu beitragen, das Interesse der Lernenden an einem Thema zu erhöhen. Aber auch bei Kinder- und Jugendbüchern werden Chancen gesehen wie auch im Bereich wissenschaftlicher Veröffentlichungen.

Buchwissenschaft muss sich an Entwicklung multimodal erweiterter digitaler Bücher beteiligen

Um die Potenziale in Zukunft besser auszuschöpfen, haben die Studentinnen und Studenten der Buchwissenschaft verschiedene Vorschläge zusammengestellt. Es müssten, so heißt es unter anderem, neue Ausdrucksformen für Enhanced E-Books und Book-Apps entwickelt werden, Verlage sollten in Zusammenarbeit mit Playern aus anderen Bereichen wie der Games-Branche mit neuen Lösungen spielen und es könnten zur Erhöhung der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Produktgruppe zum Beispiel wieder Bestenlisten veröffentlicht werden.

Es gehe darum, mit großer Kreativität die Vielfalt von Büchern und buchbasierten Produkten zu erhöhen, keinesfalls darum, gedruckte Bücher per se mit irgendeiner Art von Unzulänglichkeit in Beziehung zu bringen. Nach Einschätzung von Prof. Dr. Christoph Bläsi sind viele Bücher nämlich genau deswegen gut, weil sie außer Text und vielleicht Bild nichts weiter enthalten. Aber es müsse – und werde – an der Schnittstelle zum Gaming zusätzlich immer wieder eher teurer produzierte und deswegen auf lange Sicht seltene Buch-Apps geben, die die Grenzen des Möglichen hinausschieben. Er sieht dabei auch seine eigene Disziplin in der Pflicht: "Die Buchwissenschaft muss sich in Lehre und Forschung explizit auch Produktion, Vertrieb und Rezeption von multimodal erweiterten digitalen Büchern annehmen und dazu mit der Informatik, der Medienwissenschaft und den Game Studies zusammenarbeiten", so der Wissenschaftler. "Die Zukunft dessen, was wir Buch nennen, muss von uns mitgestaltet werden."