Einige Krebszellen sind vielleicht weniger unsterblich als ursprünglich gedacht

Untersuchungen bei Bäckerhefe liefern Hinweise auf mögliche Angriffspunkte für Bekämpfung von Krebszellen

14.12.2022

Forschende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Instituts für Molekularbiologie (IMB) in Mainz haben möglicherweise neue Erkenntnisse darüber gewonnen, wie Krebszellen die Enden ihrer Chromosomen, die sogenannten Telomere, regulieren. Bestimmte Krebsarten nutzen eine spezifische Art der Telomerregulierung, genannt ALT – kurz für "Alternative Lengthening of Telomeres". Bisher wurde angenommen, dass ALT den Krebszellen ermöglicht, unsterblich zu werden. Prof. Dr. Brian Luke und seine Gruppe fanden jedoch heraus, dass diese Zellen eine Seneszenz durchlaufen können. Das würde bedeuten, dass sie für Medikamente anfällig sind, die seneszente Zellen abtöten. Diese Erkenntnis könnte den Weg für neue Therapien ebnen, die das Wachstum von ALT-Krebszellen verlangsamen oder stoppen.

Krebs ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen und gehört zu den am schwersten zu behandelnden Krankheiten. Die Hauptursache aller Krebsarten ist das unkontrollierte Wachstum von Krebszellen, die sich schnell vermehren, bis sie große Tumoren bilden, die sich im ganzen Körper ausbreiten und Krankheit oder sogar Tod verursachen. Der Grund, warum Krebszellen so schnell wachsen, liegt zum Teil in ihrer Fähigkeit, die Enden ihrer DNA, die Telomere, zu verlängern.

Wenn sich normale, gesunde Zellen teilen, werden die Enden ihrer Chromosomen bei jeder Teilung kürzer. Schließlich werden sie so kurz, dass die Zelle merkt, dass es ein Problem gibt, und ihre Teilung einstellt. Diese Unterbrechung der Zellteilung wird als replikative Seneszenz bezeichnet und ist ein wichtiger Sicherheitsmechanismus, der verhindert, dass Zellen bösartig werden.

Krebszellen umgehen Sicherheitsmechanismus

Krebszellen finden jedoch Wege, diesen Mechanismus zu umgehen, indem sie ihre Telomere verlängern und so verhindern, dass sie kurz werden. Dadurch können sie sich weiter teilen und vermehren – und werden praktisch unsterblich. Die meisten Krebsarten aktivieren dazu einen Faktor namens Telomerase, der mehr telomerische DNA an die Enden der Chromosomen anhängt. Etwa 15 Prozent der Krebsarten aktivieren den alternativen Mechanismus ALT. Hierbei verwendet die Zelle ihre eigenen Telomere als Vorlage, um mehr Kopien der telomerischen DNA herzustellen.

Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass ALT Krebszellen unsterblich macht – dass sie ewig wachsen und sich teilen können. Das Labor von Prof. Dr. Brian Luke hat nun in seiner jüngsten Studie herausgefunden, dass dies nicht der Fall ist. Um zu untersuchen, wie ALT funktioniert, verwendet die Arbeitsgruppe Bäckerhefe. "Unter bestimmten Bedingungen können Hefezellen ihre Telomere auf fast identische Weise wie ALT-Krebszellen verlängern. Wir nennen sie ALT-Hefe", erklärt Biochemiker Prof. Dr. Brian Luke. Stefano Misino, ein ehemaliger Doktorand in Lukes Labor, erläutert: "Wir haben entdeckt, dass ALT-Hefen nur dann unsterblich erscheinen, wenn wir sie als gemischte Population von Zellen mit unterschiedlichen Telomerlängen züchten. Als wir jedoch ALT-Hefezellen isoliert und einzeln gezüchtet haben, konnten wir deutlich sehen, dass sie nach mehreren Zellteilungen immer langsamer wuchsen." Es zeigte sich, dass die Telomere in diesen einzelnen ALT-Hefezellen mit der Zeit ebenfalls kürzer wurden.

Dies deutet darauf hin, dass Zellen, die ihre Telomere mit ALT erhalten, immer noch eine replikative Seneszenz durchlaufen und möglicherweise nicht unsterblich sind. Dies ist ein spannendes Ergebnis, denn wenn ALT-Krebszellen tatsächlich einer Seneszenz unterliegen, könnten sie mit neuen Medikamenten behandelt werden, die gezielt seneszente Zellen abtöten.

Darüber hinaus haben Luke und sein Team herausgefunden, dass ein RNA-Molekül namens TERRA, das an den Telomeren gebildet wird, die Geschwindigkeit der Seneszenz in ALT-Hefezellen steuern kann und offenbar beeinflusst, wie schnell sich die Telomere verkürzen. Der Wissenschaftler ist zuversichtlich, dass diese neuen Erkenntnisse den Weg für neue Strategien zur Behandlung von Krebserkrankungen ebnen werden. "Wenn wir einen Weg finden, die RNA zu manipulieren, könnten wir die Rate der Seneszenz in diesen ALT-Zellen erhöhen, um ihr Wachstum zu verlangsamen oder sogar zu stoppen."

Brian Luke ist Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am Institut für Molekulare Biologie. Die neue Arbeit wurde in der Fachzeitschrift Nucleic Acids Research veröffentlicht.