Wissenschaftler entschlüsseln flüchtige organische Verbindungen, die von Brieftauben zur Navigation verwendet werden können
07.10.2020
PRESSEMITTEILUNG DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR CHEMIE
Einige Vogelarten nutzen Gerüche zur Orientierung. Über die chemische Zusammensetzung dieser Gerüche war bisher jedoch wenig bekannt. Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat nun über der Toskana organische Verbindungen identifiziert, die dort regional unterschiedlich auftreten. Brieftauben könnten die Duftstoffe demnach für ihre Navigation verwenden.
Viele Vogelarten können ihren Weg nach Hause finden, selbst wenn sie an abgelegene oder unbekannte Orte gebracht werden. Umweltgerüche spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die chemische Identität dieser Gerüche ist jedoch ein Rätsel. Basierend auf Untersuchungen in der italienischen Toskana haben Forscherinnen und Forscher der Max-Planck-Institute für Chemie in Mainz und für Verhaltensbiologie in Radolfzell sowie der Universitäten Konstanz, Pisa und Mainz nun regionale Karten für Duftstoffe erstellt und nachgewiesen, dass es regionale chemische Unterschiede in der Luft gibt. Die Duftstoffe stammen aus dem Meer, der Vegetation an Land oder sind menschlichen Ursprungs. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Mehrmonatige Messungen in der Toskana
Mehrere Monate lang führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Jahren 2017 und 2018 in der Toskana Messungen durch, bei denen sie eine Reihe flüchtiger organischer Verbindungen in der Umgebungsluft der Heimatvoliere von Tauben aufspüren konnten. Zusätzliche Messungen wurden in ausgewählten regionalen Waldgebieten und in der Luft durchgeführt. Dabei flogen die Wissenschaftler mit einem Ultraleichtflugzeug in 180 Metern Höhe auf der durchschnittlichen Flughöhe von Tauben. Anschließend wurden die Daten mit GPS-Daten frei fliegender Vögel kombiniert.
Einige dieser chemischen Verbindungen wie der Piniengeruch stammen von Nadelbäumen, andere aus dem Meer und wieder andere werden von Fabriken ausgestoßen. Aus ihren Messungen konnten die Forscher regionale Karten erstellen, die die organischen Verbindungen mit Windrichtung und -geschwindigkeit verknüpfen. Daraus erzeugten sie dreidimensionale chemische Konzentrationsverläufe der organischen Verbindungen, die die Grundlage einer Duftkarte bilden könnten.
Duftlandkarten basierend auf Umweltgerüchen
"Ornithologen aus Deutschland und Italien haben in mehr als 40 Jahren Forschung bewiesen, dass Tauben Gerüche in der Luft nutzen, um nach Hause zu navigieren", erklärt Nora Zannoni, Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Chemie und Erstautorin der Studie. So ist bekannt, dass Brieftauben eine innere Geruchskarte erstellen, die auf der Verteilung von Umweltdüften basiert. Diese innere Karte besteht aus Gerüchen, die die Vögel während ihres Aufenthalts in der heimischen Voliere über mehrere Monate hinweg wahrgenommen haben. Anhand dieses inneren Kompasses navigieren sie von einem für sie unbekannten Ort wieder zurück zur Heimatvoliere. "Unsere Ergebnisse untermauern die Hypothese, dass sich Tauben mittels Gerüchen orientieren", fügt Zannoni hinzu. Einige Verbindungen stammten aus Waldgebieten (Monoterpenen) oder dem Meer (DMS), während andere aus Städten und Industriekomplexen (Trimethylbenzol) stammten, erläutert die Forscherin weiter, Flecken, die wie chemische Leuchttürme wirkten.
Eine der größten Herausforderungen der Forschungsmission war ihr multidisziplinärer Charakter, resümiert Prof. Dr. Martin Wikelski, Geschäftsführender Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell: "Wir mussten die unterschiedlichen Ansätze verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen kombinieren – atmosphärische und analytische Chemie, Ornithologie und Tierverhalten, Informatik und Statistik."
"Es ist wirklich erstaunlich", fügt Jonathan Williams, Gruppenleiter in der Abteilung Atmosphärenchemie am Max-Planck-Institut für Chemie Mainz, begeistert hinzu. "Wir haben diese chemischen Gradienten mit mehreren Tonnen hochempfindlicher wissenschaftlicher Geräte entdeckt. Aber eine nur 400-Gramm-schwere Taube kann die gleichen komplexen Geruchsinformationen ebenfalls analysieren und in eine regionale Karte umwandeln."
Die HOMING-Studie, kurz für Hunting Organic Molecules in NaviGation, wurde über einen Zeitraum von drei Jahren durchgeführt und ist eine Kooperation zwischen dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell, dem Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour in Konstanz, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Universität Pisa.
Diese Arbeit wurde vom H2020-Projekt "ULTRACHIRAL", durch H2020-Forschungsinfrastrukturen sowie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der deutschen Exzellenzstrategie unterstützt.