"Die Nationalsozialisten haben mitunter das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollten"

JGU erforscht mit Universitäten Lausanne und Wien die Geschichte von Exil-Übersetzerinnen und -Übersetzern in den Jahren 1933 bis 1945

19.11.2019

Unter dem Namen "Exil:Trans" ist im Oktober 2019 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein Projekt gestartet, das sich dem Leben und Werk von Übersetzerinnen und Übersetzern widmet, die vor den Nationalsozialisten ins Exil flüchteten. Die JGU wird dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 400.000 Euro unterstützt. An dem auf drei Jahre angelegten Vorhaben sind die Universitäten Lausanne und Wien beteiligt, die von Organisationen der Schweiz bzw. Österreichs ähnliche Beträge erhalten. Damit beläuft sich die Fördersumme insgesamt auf rund 1,2 Millionen Euro. An der JGU gehören Dr. Julija Boguna und Dr. Aleksey Tashinskiy zum Projektteam unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Kelletat vom Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik des in Germersheim ansässigen Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft. "Übersetzerinnen und Übersetzer im Exil sind wissenschaftlich betrachtet eine unsichtbare Gruppe", so Kelletat. "Das ist ein nahezu völlig unerforschtes Feld, für das sich bisher keine Wissenschaft zuständig gefühlt hat."

Erstes Ziel von "Exil:Trans" ist es, unter all den Personen, die ab 1933 aus dem Herrschaftsbereich der Nationalsozialisten fliehen mussten, jene herauszufinden, die sich in der Zeit vor dem Exil, währenddessen oder danach mit dem Übersetzen befassten. Bei Vorarbeiten sind bereits mehr als 300 Namen ermittelt worden. Laut Kelletat ist aber bereits abzusehen, dass es viel mehr werden. Bei der Recherche stützt sich das Forschungsteam zum einen auf bereits Bekanntes: "Wir wussten natürlich, dass Bertolt Brecht während seines Exils in Dänemark, Schweden, Finnland und den USA übersetzt hat", erklärt Kelletat. Es gebe aber viele Übersetzerinnen und Übersetzer, die gar nicht bekannt seien. Auf sie wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem durch Recherchen in Exilpublikationen stoßen, etwa in Zeitschriften, die von Exilierten im Ausland herausgegeben wurden. "Das Forschungsfeld ist sehr komplex und unsere ersten Ergebnisse sind vielversprechend", so Kelletat. "Es gab zum Beispiel jüdische Übersetzerinnen, die noch Ende der 1930er-Jahre vom Ausland aus in deutschen Verlagen publizieren konnten." Außerdem seien manche Exilierte nach dem Krieg mit neuen Sprachen und neuer Literatur nach Deutschland zurückgekehrt und hätten damit zu einer Internationalisierung der deutschen Literatur beigetragen, man denke nur an Erich Arendt und seine Neruda-Übersetzungen. "Die Nationalsozialisten haben mitunter das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollten", so Kelletat weiter. Im zweiten Schritt von "Exil:Trans" sollen möglichst viele Informationen über das jeweilige übersetzerische Œuvre der erfassten Personen zusammengetragen werden. Schließlich sollen jährlich zu 40 bis 60 Übersetzerinnen und Übersetzern umfangreiche Porträts verfasst werden, die dann auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen.

Teilprojekt des Germersheimer Übersetzerlexikons

Insofern ist "Exil:Trans" ein Teilprojekt des Germersheimer Übersetzerlexikons (UeLEX), eines Langzeitvorhabens der JGU, das sich der Geschichte des Übersetzens seit den Tagen Luthers bis heute widmet. Es umfasst zu einzelnen Übersetzerinnen und Übersetzern bereits rund 60 ausführliche Artikel, die online frei zugänglich sind. Sowohl UeLEX als auch Exil:Trans werden vom Zentrum für Interkulturelle Studien (ZIS), einem Potentialbereich der JGU, der vom Land Rheinland-Pfalz in besonderer Weise gefördert wird, unterstützt. "Für die kontinuierliche Unterstützung durch das ZIS sind wir sehr dankbar, denn ohne sie wäre Exil:Trans nicht zustande gekommen", betont Kelletat. "Wir konnten dadurch in kleinerem Rahmen wichtige Vorarbeiten finanzieren, ohne die wir niemals diese große Summe hätten einwerben können, die wir nun von der DFG erhalten."