Die Hebräische Bibel verstehen – von den großen Erzählungen zu literarisch-stilistischen Metathesen

Drei neue Bücher von JGU-Forschungsprofessor Dr. Isaac Kalimi widmen sich den Darstellungen und Auslegungen der Hebräischen Bibel

24.01.2019

Das Verständnis der Hebräischen Bibel und somit auch des Alten Testaments von den großen Erzählungen bis zu den feinsten Nuancen der Wortwahl sind zentrale Anliegen von Prof. Dr. Isaac Kalimi, Forschungsprofessor für Hebräische Bibel und Geschichte Israels an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). "Jedes Wort, jeder Buchstabe und jeder Punkt wollen uns etwas sagen", erklärt der Religions- und Geschichtswissenschaftler. Die Interpretation der Texte, die Auseinandersetzung darüber, die theologischen Kontroversen unter verschiedenen jüdischen Positionen, aber auch zwischen Judentum und Christentum können nicht nur polarisieren, sondern nach Ansicht von Kalimi gleichzeitig auch sehr fruchtbar sein. Mit drei neuen Büchern, die zum Jahresende 2018 erschienen sind, leistet Kalimi erneut einen außerordentlichen Beitrag zum Verständnis der heiligen Schriften und ihrer Auslegung.

Das Bild von Salomo als weiser König und Erbauer des Jerusalemer Tempels ist zu einem Fixpunkt jüdischer, christlicher und islamischer Schriften geworden. Kalimi setzt sich in seinem Buch Writing and Rewriting the Story of Solomon in Ancient Israel (Cambridge University Press, 2018) mit der sehr differenzierten Betrachtung König Salomos in der modernen biblisch-archäologischen und historischen Forschung auseinander – dies auch vor dem Hintergrund altorientalischer Quellen. Darüber hinaus geht er auf die vielfältige Darstellung König Salomos in der Hebräischen Bibel ein. Sein Buch geht diesen Unterschieden nach – Unterschiede, die verschiedene historische Zusammenhänge, theologische und didaktische Konzepte, stilistische und literarische Techniken und kompositorische Methoden der biblischen Geschichtsschreiber/Historiker widerspiegeln. Damit wird die Einzigartigkeit eines jeden Porträts von Salomo hervorgehoben, wie zum Beispiel sein Charakter, die Geburt, das frühe Leben, sein Aufstieg und der Tempelbau. Während die Autoren der Bücher Samuel und Könige nahe bei ihren Quellen bleiben und eine Rechtfertigung für Salomos Königtum bieten, werden die Informationen über Salomo aus den Büchern Samuel und Könige in der Chronik umgeschrieben, um das Leben Salomos so darzustellen, wie es der Verfasser des Chronikbuches wünschte.

Wortspiele und stilistische Werkzeuge in der Hebräischen Bibel

Von den großen biblischen Erzählungen wechselt Kalimi in seinem zweiten Buch zu den Feinheiten in den sprachlichen Darstellungen der Hebräischen Bibel. In Metathesis in the Hebrew Bible (Hendrickson Publishers, 2018) erforscht er das Wortspiel als ein literarisches und exegetisches Mittel. Dazu gehören Phänomene wie die unabsichtliche Verdrehung von Buchstaben oder Lauten während der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache oder auch das Vertauschen von Buchstaben, das versehentlich während der Übertragung eines Textes passieren kann. Kalimi erörtert ferner die verbreitete Verwendung literarisch-stilistischer Metathesen, bei denen zwei oder mehrere Wörter, die aus den gleichen Buchstaben bestehen, von ihrer Buchstabenfolge her absichtlich in entgegengesetzter Weise nebeneinandergestellt werden, um so dem Kontext zu einem tieferen exegetisch-theologischen Sinn oder zu einer größeren literarisch-stilistischen Schönheit zu verhelfen.

Die literarische Metathese ist aber nicht nur ein Phänomen der Hebräischen Bibel, sondern tritt auch in post-biblischen jüdisch-hebräischen Abfassungen auf, wie zum Beispiel in dem Buch Ben Sira (Jesus Sirach) und den rabbinischen Schriften. "Wir können daher davon ausgehen, dass die Verwendung dieser Wortspiele und der stilistischen Werkzeuge durch die Rabbiner nicht eine späte, artifizielle Annäherung an die heiligen Schriften war, sondern selbst tief in den biblischen Texten verwurzelt ist", bemerkt Kalimi.

Im Zentrum seines dritten Buches Untersuchungen zur Jüdischen Schriftauslegung und Theologie (Echter-Verlag, 2018) steht die "Opferung" Isaaks sowie die Josefsgeschichte und die jüdisch-biblische Theologie. Er thematisiert in dieser Publikation auch Auseinandersetzungen über die verschiedenen Aspekte der Interpretation, Theologie und Rezeption der Hebräischen Bibel beziehungsweise des Alten Testaments, die sehr fruchtbar sein können. So resultierte auch das Aufblühen jüdischer Exegese aus ihrer Begegnung mit den sie umgebenden Kulturen und Religionen und so entwickelten sich die vielfältigen Positionen unter den Juden selbst. Ferner behandelt Kalimi die Auslegung früher Schriften in später biblischer Literatur, in den Apokryphen und in den Pseudepigraphen, in jüdisch-hellenistischen Schriften, in den Schriftrollen vom Toten Meer und in einer Auswahl von rabbinischen Quellen. Darüber hinaus thematisiert er theologische Kontroversen zwischen verschiedenen jüdischen Sekten, Modelle jüdisch-biblischer Theologie, ihre Aufgaben und Herausforderungen sowie theologische Auseinandersetzungen zwischen Judentum und Christentum.

Isaac Kalimi ist seit Oktober 2013 Professor an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Mitglied des Gutenberg Forschungskollegs (GFK). Er zählt zu den weltweit führenden Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Hebräischen Bibel beziehungsweise des Alten Testaments und der Geschichte Israels. Er ist Mitglied der Belgian Royal Academy for Overseas Sciences und außerordentliches Mitglied der Scandinavian Society for Iranian Studies. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zu biblischen Studien, der Geschichte und Geschichtsschreibung des antiken Israel und zur rabbinischen beziehungsweise jüdischen Auslegung und Literatur.