Anfälligkeit ihrer mikrobiellen Partner gegenüber Unkrautvernichtungsmittel ist eine unterschätzte Schwachstelle von Insekten, die zu ihrem Rückgang beitragen könnte
11.05.2021
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR CHEMISCHE ÖKOLOGIE UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERISÄT MAINZ
Der Getreideplattkäfer lebt in enger Gemeinschaft mit symbiotischen Bakterien. Die Bakterien liefern wichtige Bausteine für die Bildung des Außenskeletts der Insekten, das sie vor Trockenheit und Feinden schützt. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology in Japan zeigt in einer neuen Studie, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat die symbiotischen Bakterien des Getreidekäfers hemmt. Käfer, die Glyphosat ausgesetzt sind, erhalten von den Bakterien nicht mehr die benötigten Bausteine. Die Studie zeigt damit, dass das Unkrautvernichtungsmittel indirekt, über ihre intrazellulären, bakteriellen Partner, auch Insekten schädigt und dadurch zu deren massenhaften Sterben beitragen dürfte.
Insekten brauchen mikrobielle Partner zum Überleben
Lebewesen existieren nicht isoliert, sondern sind in ein komplexes Netzwerk von ökologischen Wechselwirkungen eingebunden. Diese Wechselwirkungen mit anderen Organismen müssen berücksichtigt werden, wenn die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten beurteilt werden. Vor allem Insekten profitieren in vielfältiger Weise von der Lebensgemeinschaft symbiotischen Bakterien, vor allem durch die Zufuhr von Nährstoffen und chemischen Abwehrstoffen. Allerdings kann der Nutzen solcher Symbiosen Insekten auch anfällig machen. Insekten sind oft so abhängig von ihren mikrobiellen Partnern geworden, dass sie ohne die Symbiose-Bakterien weniger überlebensfähig sind. Die Konsequenzen eines Verlustes der Symbiose reichen von einer verzögerten oder unvollständigen Entwicklung, einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber natürlichen Feinden, einem reduzierten Reproduktionspotenzial und einer verminderten Konkurrenzfähigkeit gegenüber Artgenossen bis hin zum Tod.
Glyphosat verhindert in symbiotische Bakterien die Bildung von Bausteinen für das Außenskelett von Insekten
Glyphosat ist eines der derzeit am häufigsten verwendeten Unkrautvernichtungsmittel in der Landwirtschaft, obwohl seine potenziell schädlichen Nebenwirkungen auf Nicht-Zielorganismen zunehmend kontrovers diskutiert werden. Das Mittel soll das Wachstum von Pflanzen selektiv unterdrücken, indem es die Biosynthese von aromatischen Aminosäuren über den sogenannten Shikimatweg hemmt, einen Stoffwechselweg, der in Pflanzen, aber auch vielen Mikroorganismen vorkommt. Tiere hingegen weisen keine Gene auf, die für diesen Stoffwechselweg kodieren. Daher ging man bislang davon aus, dass sie von Glyphosat nicht geschädigt werden. Viele Tiere gehen jedoch wechselseitige Symbiosen mit Mikroorganismen ein, die auf den Shikimatweg der Bakterien angewiesen sind, um Aminosäuren zu erhalten, die sie als Bausteine für ihr Außenskelett benötigen. "Ein Einfluss von Glyphosat auf Tiere über ihre essentiellen, bakteriellen Partner, die den Shikimat-Stoffwechselweg nutzen, oder sogar auf diesen spezialisiert sind, liegt im Prinzip nahe, sobald man die Interaktion beider Partner versteht", erklärt Tobias Engl, einer der Hauptautoren der Studie. So wurde auch bereits gezeigt, dass Glyphosat negative Auswirkungen auf Mikroorganismen im Darm von Honigbienen hat und die Bienen dadurch anfälliger für verschiedene Stressfaktoren sind. Darüber hinaus ist die Bereitstellung der aromatischen Aminosäure Tyrosin für die Bildung des Außenskeletts (Kutikula) einer der Hauptvorteile von Symbiose-Bakterien für viele pflanzenfressenden Insektenarten. Diese Abhängigkeit von der Symbiose wiederum macht Insekten vermutlich besonders anfällig für den Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft: Der Unkrautvernichter hemmt den Shikimatweg in den Symbiose-Bakterien und damit fehlen den Insekten wichtige Aminosäuren für die Bildung der Kutikula.
Erweist sich die Abhängigkeit von ihren Symbiose-Partnern als Achillessehne für Insekten?
In der aktuellen Studie zeigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena und des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology in Japan, dass Glyphosat einen negativen Einfluss auf den mikrobiellen Partner hat, den der Getreideplattkäfer Oryzaephilus surinamensis, ein wirtschaftlich wichtiger Schädling von gelagerten Getreideprodukten, beherbergt. Werden diese Käfer dem Unkrautvernichter Glyphosat ausgesetzt, hob dies den Nutzen der Symbiose für die Bildung der Kutikula, die für Insekten als regelrechter Panzer den primären Schutz gegen Stress, wie Trockenheit und Befall mit Schaderregern darstellt, nahezu völlig auf.
Die Forscher sequenzierten das Genom des bakteriellen Partners des Getreideplattkäfers. Das winzige Genom (300 kbp) der Bakterien enthält die genetische Anleitung für einen Stoffwechsel, der ganz auf die Bildung von aromatischen Aminosäuren über den Shikimatweg ausgerichtet ist. Interessanterweise, ähnelt es stark dem Genom der bakteriellen Partner des Palmrüsslers, bei dem der Symbiose-Bakterien ebenfalls an der Bildung des Außenskeletts beteiligt sind, aber zu einem anderen Bakterienstamm gehören.
"Die Entdeckung einer symbiotischen Beziehung mit vergleichbarer Funktion, die sich unabhängig voneinander in zwei verschiedenen Bakterienstämmen und entfernt verwandten Käferfamilien entwickelt hat, zeigt, wie wichtig kutikulaunterstützende Symbiosen bei Käfern sind", sagt Julian Kiefer, Erstautor der Studie. Dieser funktionelle Nutzen für den Wirt wurde experimentell überprüft, indem durch Nahrungsergänzung mit aromatischen Aminosäuren der Verlust der Symbiose-Partner ausgeglichen wurde. Umgekehrt hemmte die Zugabe von Glyphosat die Etablierung der symbiotischen Bakterien während der gesamten Käferentwicklung und hob dadurch den Nutzen der Symbiose für die Bildung der Kutikula vollständig auf. "Da wir beobachten konnten, wie Glyphosat die symbiotische Gemeinschaft schädigt, fragten wir uns, ob Glyphosat auch für andere Insekten, die auf ihre mikrobiellen Partner angewiesen sind, eine generelle Gefahr darstellt", meint Tobias Engl. Mithilfe von stammesgeschichtlichen Analysen zeigten die Autoren, dass die Shikimat-Stoffwechselwege vieler unentbehrlicher Symbiose-Bakterien, die mit sehr unterschiedlichen Wirtsinsekten vergesellschaftet sind, ein Glyphosat-empfindliches Enzym enthalten. Diese Entdeckung legt nahe, dass die Glyphosat-Anfälligkeit ihrer mikrobieller Symbiose-Partner eine Achillesferse von Insekten ist.
Wir erleben derzeit ein Insektensterben bedrohlichen Ausmaßes. Der Insektenreichtum geht ebenso zurück wie die Artenvielfalt, ganz abgesehen von den Auswirkungen des zunehmenden Verschwindens von Biene, Käfer und Co. auf höhere Ebenen in der Nahrungskette. Die neuen Erkenntnisse aus der Studie machen darauf aufmerksam, dass die Anwendung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der Landwirtschaft die lebenswichtigen symbiotischen Beziehungen zwischen Insekten und Mikroorganismen gefährdet und somit ein ernstes Problem für Ökosysteme darstellt.