Bislang verborgene Quelle für Kenntnis der literarischen Kultur von Juden in Deutschland erstmals systematisch erschlossen
11.12.2007
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat Prof. Dr. Andreas Lehnardt von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ein größeres Forschungsvorhaben bewilligt. Damit können in den kommenden Jahren drei Wissenschaftler von Mainz aus die zu Hunderten in deutschen Archiven und Bibliotheken verstreuten jüdischen Handschriftenfragmente sammeln und erforschen. Eine wichtige, bislang verborgene Quelle für die Kenntnis der literarischen Kultur von Juden in Deutschland wird damit erstmals systematisch erschlossen. Das Vorhaben geht zurück auf ein Teilprojekt im Rahmen des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums (HKFZ) Mainz-Trier. In einer Vorlaufphase sind dabei bereits so viele neue, wichtige hebräische Manuskriptreste zutage gefördert worden, dass ein größeres Projekt notwendig und sinnvoll erschien.
Im Rahmen einer internationalen Tagung wurden erste Ergebnisse der Forschung der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Projekt "Genizat Germania" zielt darauf, die hebräischen Einbandfragmente beziehungsweise die oftmals nur wenige Zentimeter großen Makulaturstücke als Quellenkorpus für die Rekonstruktion der literarischen Kultur der Juden in Deutschland zu erschließen. Dieses Korpus, das sich in seiner Zusammensetzung von den vollständig erhaltenen Handschriften in verschiedenen Punkten unterscheidet, wird maßgeblich zur Rekonstruktion der hebräischen "Bibliothek" am Ende des Mittelalters beitragen können.
Unter den in deutschen Bibliotheken und Archiven entdeckten Fragmenten finden sich seltene Texte wie solche aus dem Jerusalemer Talmud, verschiedene kleinere rabbinische Werke, mittelalterliche Bibelkommentare, halakhische Werke, Piyyut-Dichtungen, Targumim (aramäische Bibelübersetzungen), Responsen, Talmud-Kommentare, haggadische Erzählungen, Romane und Geschichtswerke. Die Kenntnis der hebräischen Literaturgeschichte ist durch die oftmals zufällig gemachten Entdeckungen bereits maßgeblich erweitert worden. Wie die Funde in Archiven im benachbarten Ausland zeigen, ist diese spezielle "Geniza", die sich in den Einband- und Makulaturfragmenten findet, noch längst nicht hinreichend erforscht. Der letzte Versuch einer systematischen Erschließung liegt über 30 Jahre zurück. Landesrabbiner Ernst Róth aus Mainz hatte seinerzeit eine Liste der Fragmente für das Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland erstellt. Dieses Verzeichnis muss allerdings mittlerweile als veraltet gelten. Das nun von Prof. Dr. Andreas Lehnardt aufgebaute Projekt wird einen wichtigen, auch international beachteten Beitrag zur judaistischen Forschung leisten.