Neuer Sonderforschungsbereich wird mit 10 Millionen Euro gefördert
25.05.2021
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat zum 1. Juli 2021 die Einrichtung eines neuen Sonderforschungsbereichs (SFB) "Humandifferenzierung" in den Sozial- und Kulturwissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz (IEG) bewilligt. Der SFB 1482 wird mit insgesamt rund 10 Millionen Euro für eine erste Periode von vier Jahren gefördert. Beteiligt sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Soziologie und Ethnologie, der Amerikanistik und Linguistik, der Theater-, Medienkultur- und Translationswissenschaft der JGU sowie der Geschichtswissenschaft des IEG. Im Mittelpunkt steht die Forschungsfrage, wie historische und gegenwärtige Gesellschaften ihre Mitglieder kategorisieren, räumlich trennen und sie füreinander so zu "Anderen" machen und ihnen damit soziale Zugehörigkeiten und Identitäten nahelegen.
Humandifferenzierung meint zunächst die Außenunterscheidung des Menschen von Tieren und Artefakten wie etwa Robotern, sodann die Einteilung von Menschen in Kategorien und Gruppen wie Ethnien, Nationen, Sprach- und Religionsgemeinschaften und schließlich die binnengesellschaftliche Unterscheidung aufgrund von Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Behinderung oder Leistung. "Der SFB befasst sich mit einem elementaren, folgenreichen und konfliktträchtigen Phänomen: dass sich Menschen fortlaufend kategorisierend unterscheiden. Ziel ist es, eine allgemeine Theorie der Humandifferenzierung zu entwickeln, die deren soziokulturelle Funktionen bestimmt", so der Sprecher des Sonderforschungsbereichs, Prof. Dr. Stefan Hirschauer vom Institut für Soziologie der JGU.
Nicht einzelne Unterscheidungen sind relevant, sondern das Zusammenspiel der vielen verschiedenen Zugehörigkeiten von Menschen
Über die wissenschaftlichen Ziele hinaus beansprucht der SFB auch forschungsorganisatorische Relevanz. Er soll eine spezialisierte und voneinander separierte Vielfalt von Forschungszweigen zur Kategorisierung von Menschen in einem neuen übergreifenden Feld "Studies in Human Categorization" zusammenführen. Dabei sollen nicht mehr wie bisher einzelne Unterscheidungen – etwa nach Geschlecht, Ethnizität oder Religion – ins Zentrum gerückt werden. "Wir wollen die vielen Zugehörigkeiten von Individuen in ihrer tatsächlichen Konkurrenz zueinander beobachten und dabei beleuchten, dass Menschen nicht einfach unterschiedlich sind, sondern in der sozialen Praxis mal so, mal so unterschieden werden – oder eben auch systematisch unterschiedslos behandelt werden", erläutert Prof. Dr. Stefan Hirschauer.
Die 20 Teilprojekte des Sonderforschungsbereichs greifen in den drei Arbeitsbereichen "Körper und Performances", "Mobilität und Ordnungsprozesse" sowie "Humangrenzen und Infrastrukturen" zentrale Aspekte der übergeordneten Fragestellung auf. Wegen der großen gesellschaftlichen Bedeutung seiner Forschungsfragen umfasst der SFB ein eigenes Projekt zur Öffentlichkeitsarbeit, das seine Ergebnisse auch für ein nichtwissenschaftliches Publikum zugänglich machen will.
Die Ergebnisse von Humandifferenzierung erscheinen in öffentlichen Diskursen meist als unhinterfragte, gegebene Eigenschaften von Menschen. Diese können zum Aufhänger für identitäre Zuschreibungen werden. Demgegenüber will der SFB dafür sensibilisieren, dass Menschen und soziale Gruppen erst dadurch zu ihren Eigenschaften kommen, dass sie in sozialen Praktiken unterschieden werden. Er will das gesellschaftliche Verständnis dafür schärfen, dass diese Unterscheidungen oft zu mehreren, konkurrierenden Ergebnissen führen können und dabei komplex miteinander verschränkt sind.