Bestätigung durch vier Expertengutachten
21.04.2009
Der Shakespeare-Forscherin Prof. Dr. Hildegard Hammerschmidt-Hummel von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) war es in Zusammenarbeit mit vier Experten möglich, den Anspruch des englischen Gemälderestaurators und Eigentümers Alec Cobbe als unhaltbar zurückzuweisen, das seit Jahrhunderten in Familienbesitz befindliche "Cobbe-Porträt" sei ein authentisches, nach dem Leben gemaltes Bildnis William Shakespeares. Hammerschmidt-Hummel ist Autorin des Buchs "Die authentischen Gesichtszüge William Shakespeares. Die Totenmaske des Dichters und Bildnisse aus drei Lebensabschnitten" (Hildesheim: Olms, 2006), in dem sie auf der Grundlage von Bildgutachten des Bundeskriminalamts (BKA), gutachterlichen Stellungnahmen von Fachmedizinern und weiteren Spezialisten die Authentizität von vier Shakespeare-Bildnissen nachweisen konnte. Es handelt sich um das etwa 1594 bis 1599 entstandene Chandos-Porträt der National Portrait Gallery in London, das 1609 gemalte Flower-Porträt, das bis ca. 1999 im Eigentum der Royal Shakespeare Company Collection in Stratford-upon-Avon war und seither spurlos verschwunden ist, die ca. 1613 geschaffene Davenant-Büste aus Terrakotta (Garrick Club, London) und die 1616, ein bis zwei Tage nach Shakespeares Tod abgenommene Darmstädter Shakespeare-Totenmaske (Hessische Universitäts- und Landesbibliothek, Darmstadt). Hammerschmidt-Hummel erstellte auch einen Kriterienkatalog der Gesichts- und Krankheitsmerkmale des Dichters. Diese Kriterien können nun für weitere bekannte oder neu entdeckte Porträts angewandt werden, um festzustellen, ob es sich lebensgetreue Wiedergaben Shakespeares handelt.
Eigenen Angaben zufolge besuchte Alec Cobbe 2006 die Ausstellung der Londoner National Portrait Gallery "Searching for Shakespeare" und sah dort das vor 1770 aufgefundene Janssen-Porträt aus der Folger Shakespeare Library in Washington, das Hammerschmidt-Hummel, gestützt auf ein Gutachten des Identifizierungs-Experten des BKA Reinhardt Altmann bereits 1999 als authentisch in Betracht ziehen konnte. Bei seinem Besuch stellte Cobbe fest, das Janssen-Porträt sehe genauso aus wie ein Porträt in seiner Familiensammlung. Heute behauptet er, sein Bild sei das einzige Originalbild Shakespeares, das Janssen-Bild eine Kopie dieses "Originals". Ferner behauptet er, das Cobbe-Porträt habe dem Stecher Martin Droeshout d. J. als Vorlage für den Porträtstich des Dichters in der ersten Werkausgabe von 1623 gedient. Diese Thesen gab Cobbe gemeinsam mit Prof. Stanley Wells, dem bekannten Chairman des Shakespeare Birthplace Trust, Anfang März 2009 in einer spektakulären weltweiten Medienkampagne bekannt. Wells stellte sich voll und ganz hinter Cobbe, bestätigte dessen Annahmen und kündigte die Eröffnung einer Ausstellung des Cobbe-Porträts, mehrerer seiner Kopien sowie die Publikation eines Buchs in Stratford-upon-Avon an.
Bei ihren vergleichenden Untersuchungen zwischen dem Cobbe-Porträt und dem Janssen-Porträt unter Heranziehung des Droeshout-Stichs und der vier bestätigten lebensgetreuen Bildnisse (Chandos, Flower, Davenant und Totenmaske) stellte die Shakespeare-Expertin Hammerschmidt-Hummel Abweichungen zwischen dem Cobbe- und Janssen-Bild fest. Diese zeigten, dass der Maler des Janssen-Porträts mit den Gesichtsmerkmalen Shakespeares sowie seinen Krankheitsmerkmalen in einem frühen Stadium bestens vertraut war. Der Künstler des Cobbe-Porträts hingegen habe nicht alle morphologischen Kennzeichen des Shakespeareschen Gesichts gekannt und vor allem keine Detailkenntnisse der pathologischen Symptome besessen – bis auf eine leichte Schwellung des linken Oberlids, die dort jedoch nur "andeutungsweise" sichtbar sei. Diese Unterschiede bestätigte der Dermatologe Prof. Jost Metz, Experte für die Diagnostizierung von Krankheitserscheinungen auf Porträts der Renaissance, in einer gutachterlichen Stellungnahme vom März 2009.
Damit wurde erneut deutlich, dass das Janssen-Porträt, bei dem lediglich die frühe Geschichte einer weiteren Erforschung bedarf, dem kleinen Kreis der echten Shakespeare-Bildnisse zugerechnet werden darf und dass es keineswegs eine Kopie des Cobbe-Porträts sein kann, sondern im Gegenteil als dessen Vorlage fungiert haben dürfte. Dafür sprechen die auffallenden "Ähnlichkeiten in der Gesichtsumrissform, der Stirn-, Augen-, Nasen-, Mund- und Kinnpartie", die BKA-Experte Reinhardt Altmann in seinem Gutachten vom April 2009 hervorhob, wie auch die Unterschiede, die der Identifizierungsspezialist in Übereinstimmung mit dem Dermatologen Metz ebenfalls benannte. Zu diesen Abweichungen gehört beispielsweise die Nasenspitzenpartie. Eine mittels Photoshop erstellte Montage des Fotografen und Spezialisten für elektronische Bildverarbeitung an der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Andreas Kahnert, zwischen Droeshout-Stich und Cobbe-Porträt macht diesen signifikanten Unterschied im Bereich der Nasenspitze sichtbar. Bei seinem Vergleich der Cobbe-/Janssen-Bilder mit dem Overbury-Bild stieß Altmann auf weitere Abweichungen, die dafür sprechen, dass es sich nicht um ein und dieselbe Person handelt.
Aus dem von Hammerschmidt-Hummel eingeholten Gutachten des Inschriftenexperten der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur Dr. Eberhard J. Nikitsch
geht hervor, dass die Inschrift des Cobbe-Porträts die "zeitgenössisch üblichen Schriften auf Porträts", nämlich "Kapitalis, Fraktur und (leicht geneigte) humanistische Minuskel" vermissen lässt, "eher unbeholfen, wie von Schülerhand" schreibschriftlich ausgeführt ins Auge sticht und später hinzugefügt worden sein muss. Zum Vergleich herangezogene Beispiele aus England, etwa das Porträt von Thomas de Hoghton (Hoghton Tower, Lancashire, nach 1564), von Robert Cecil, des Ersten Ministers von Elisabeth I. (Hatfield House, um 1600) und des dritten Grafen von Southampton (Tower-Bildnis, Duke of Buccleuch Collection – nach 1603), weisen laut Nikitsch die zeittypischen Schriften auf.
Aus diesen Ergebnissen ist somit der Schluss zu ziehen, dass das Cobbe-Bildnis kein authentisches, nach dem Leben gemaltes Porträt William Shakespeares sein kann. Auch kann es nicht als Vorlage für den Droeshout-Stich gedient haben, was schon bei genauer vergleichender Betrachtung der beiden Bilder klar wird.