Auszeichnung für herausragende Forschungsleistungen zu Netzhautschäden bei Diabetes und Darmkrebs
21.06.2017
Die Boehringer Ingelheim Stiftung zeichnet die Augenfachärztin PD Dr. Katharina Ponto und den Toxikologen PD Dr. Jörg Fahrer mit dem diesjährigen Boehringer-Ingelheim-Preis aus. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Preis geht zu gleichen Teilen an die beiden erfolgreichen Nachwuchswissenschaftler der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). PD Dr. Jörg Fahrer fand heraus, wie Zellen des Darms auf bestimmte krebserregende Stoffe, die etwa beim Braten von Fleisch entstehen, reagieren und welche Wege die Zelle einschlägt, um sich vor Schäden an ihrem Erbgut und Zelltod zu schützen. Die neuen Erkenntnisse helfen dabei, besser zu verstehen, wie Dickdarmkrebs entsteht. PD Dr. Katharina Ponto wertete Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie aus, um erstmals verlässliche und aussagekräftige Zahlen zu Netzhautveränderungen im sehr frühen Diabetes-Stadium zu liefern. Ihre Daten legen nahe, dass gezielte Screening-Programme helfen könnten, Netzhautschäden als Folge einer Zuckererkrankung zu vermeiden.
"Beide Preisträger beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit gesellschaftlich äußerst relevanten Themen, den Volkskrankheiten Krebs und Diabetes", betont Prof. Dr. Ulrich Förstermann, Wissenschaftlicher Vorstand und Dekan der Universitätsmedizin Mainz. "Dies zeigt einmal mehr, dass die universitäre Forschung am Standort Mainz eine große gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat."
Christoph Boehringer, Vorsitzender des Vorstands der Boehringer Ingelheim Stiftung, unterstreicht: "Exzellente Nachwuchswissenschaftler brauchen ein inspirierendes Umfeld und beste Bedingungen, um neue Erkenntnisse für unser aller Gesundheit zu gewinnen. Deshalb engagiert sich unsere Familie mit der Boehringer Ingelheim Stiftung seit Jahrzehnten für Spitzenforschung, gerade auch in unserer Heimatregion."
Zur Arbeit von PD Dr. Jörg Fahrer
Darmkrebs ist die dritthäufigste Tumorerkrankung in Deutschland. Über 30 Prozent aller Darmkrebsfälle werden durch die Ernährung verursacht. Insbesondere der Verzehr von Fleisch ist dabei in den Fokus geraten, da bei dessen Verarbeitung und Zubereitung verschiedene krebserregende Stoffe, sogenannte Karzinogene, entstehen können. Hierzu zählt ein Stoff mit der Kurzbezeichnung PhIP, der die DNA schädigt und zu irreversiblen Veränderungen des Erbguts führt. Je heißer Fleisch zubereitet wird und je dunkler es wird, umso mehr steigt sein Gehalt an PhIP.
"Bis vor Kurzem war noch wenig darüber bekannt, wie die Zelle sich gegen diese krebserzeugende Substanz schützen kann", so PD Dr. Jörg Fahrer. "Deshalb haben wir uns gefragt, wie Zellen des Darms reagieren, wenn sie mit PhIP in Kontakt kommen." Dazu untersuchten die Wissenschaftler die Wirkung von PhIP mittels einer Vielzahl bioanalytischer, biochemischer, zellbiologischer und genetischer Verfahren. Gemeinsam mit Kollegen in Hannover, Potsdam und Dallas in den USA fanden sie zunächst heraus, dass die durch PhIP verursachten DNA-Schäden ein komplexes Schutzprogramm aktivieren, das weitere Schäden bei der Verdopplung der DNA oder DNA-Replikation begrenzt. Gesteuert wird dieses Schutzprogramm maßgeblich vom Protein ATR, das die Schäden erkennt und weitere Moleküle aktiviert, die unter anderem an der Regulation des Zellzyklus und an der Reparatur beteiligt sind.
Um diese Vorgänge genauer zu untersuchen, schalteten die Wissenschaftler ATR in bestimmten Zellen mit einem hochspezifischen pharmakologischen Hemmstoff aus. So konnten sie zeigen, dass PhIP die Struktur der Chromosomen deutlich häufiger verändert, wenn ATR außer Gefecht gesetzt ist. Bei starker Schädigung durch PhIP leiteten die Zellen darüber hinaus auch deutlich häufiger ein automatisches Zelltodprogramm ein.
"Unsere Forschungsergebnisse belegen erstmals, dass Darmzellen sich durch ein ATR-gesteuertes Programm gegen ein wichtiges Karzinogen wehren können", so Fahrer. "Interessanterweise finden sich in Tumoren des Magen-Darm-Trakts auch Mutationen von ATR, die dazu führen, dass das ATR-Protein nicht richtig arbeitet. Patienten mit einem ATR-Defekt könnten daher ein höheres Risiko besitzen, Darmkrebs zu entwickeln. Diese Hypothese wollen wir nun in weiteren Forschungsprojekten untermauern."
Zur Arbeit von PD Dr. Katharina Ponto
PD Dr. Katharina Ponto untersuchte in ihrer von der Boehringer Ingelheim Stiftung ausgezeichneten Arbeit die Häufigkeit von Netzhautveränderungen bei Menschen, bei denen gerade Diabetes festgestellt wurde. Da Diabetiker oft zunächst keine Beschwerden haben, kann die Krankheit lange unentdeckt bleiben. Doch je länger der Diabetes besteht, umso wahrscheinlicher werden Begleiterkrankungen. Wird der Diabetes erst relativ spät entdeckt, ist davon auszugehen, dass auch die Begleiterkrankungen schon fortgeschritten sind. Zu ihnen zählt auch die diabetische Retinopathie, die häufigste Gefäßerkrankung der Netzhaut und zugleich die häufigste Ursache für eine Erblindung bei Personen im erwerbsfähigen Alter in entwickelten Ländern.
Bisher existierten in Europa keine bevölkerungsbezogenen Daten zum Auftreten diabetischer Netzhautveränderungen bei neu – etwa im Rahmen von Screenings oder Studien – festgestelltem Diabetes. Pontos Arbeit schließt diese Lücke und liefert nun erstmals verlässliche und aussagekräftige Zahlen zu Netzhautveränderungen im sehr frühen Diabetes-Stadium. Dabei konnte die Mainzer Fachärztin für Augenheilkunde im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie auf eine ungewöhnlich große Datenbasis zugreifen. Diese Bevölkerungsstudie analysiert den Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Rhein-Main-Region, insbesondere deren Herz-Kreislauf-Gesundheit. Zusätzlich erfassten die Ärzte Erkrankungen der Augen, des Immunsystems, des Stoffwechsels, der Psyche sowie Krebs. Von 2007 bis 2012 wurden im Rahmen der Studie über 15.000 Personen aus einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe im Studienzentrum der Universitätsmedizin Mainz untersucht.
Dabei diagnostizierten die Ärzte bei 347 Studienteilnehmern oder ungefähr jedem fünfzigsten Teilnehmer erstmals Diabetes. Damit erfuhr etwa jeder vierte Diabetiker in der Studie (insgesamt 1.377) erst durch diese Untersuchung von seiner Erkrankung. Für die vorliegende Untersuchung wertete Ponto bei diesen Teilnehmern Bilder des Augenhintergrunds aus und stellte bei 13 Prozent von ihnen Netzhautschäden fest.
"Weltweit handelt es sich um die jüngste und größte Gruppe, deren Daten zu dieser Fragestellung ausgewertet wurden", so Ponto. "Unsere Daten lassen vermuten, dass durch ein Diabetes-Screening die Erkrankung selbst und Schäden an der Netzhaut frühzeitig entdeckt werden können. Möglicherweise könnten durch gezielte Screening-Programme schwere Komplikationen in Bezug auf begleitende Augenerkrankungen und ein Erblinden in einigen Fällen verhindert werden."