In trübe Suppen kann man – normalerweise – nicht hineinschauen, Forschenden der JGU und der HHU ist es nun aber erstmalig gelungen
14.10.2024
Fährt man durch Nebel, helfen Autoscheinwerfer nur bedingt weiter: Das Licht wird von den Wasserpartikeln in der Luft reflektiert. Ähnlich ist es, wenn man Milchtropfen im Wasser beobachtet oder versucht, das Innere eines Schmuckopals zu erkunden. Die Mehrfachstreuung des Lichts verhindert jeglichen Blick ins Innere. Forschenden der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) ist nun eben dieser Blick ins Innere eines opalisierenden Tropfens gelungen. Die Ergebnisse wurden im Journal Soft Matter veröffentlicht.
Monochromatische Beleuchtung macht's möglich
Gibt man einen Tropfen Tinte in Wasser, ist klar, was passiert: Er verteilt sich mit der Zeit. Doch wie verhält sich ein kristalliner Tropfen, dessen Teilchen sich gegenseitig abstoßen, wenn er in Wasser schwebt? Vorhersagen zum dreidimensionalen Verhalten eines solchen Tropfens suchte man bislang vergeblich, lediglich einige wenige eher exotische Materialien wurden bisher modelliert – zum Beispiel Plasmen, quasi Sonnenmaterial, dessen Teilchen sich ebenfalls abstoßen. Wo Durchlicht versagt und Röntgen zu aufwendig ist, haben die Forschenden eine Methode entwickelt, die mit einfachsten Labormitteln auskommt. Die Basis dafür bildet das farbliche Glitzern eines solchen Kristalltropfens, das auf farbselektiver Lichtbeugung beruht: Ist der Abstand zwischen den Partikeln groß, schimmert der Tropfen mit weißem Licht bestrahlt leuchtend rot, befinden sich die Partikel dagegen dichter zusammen, funkelt er blau. Über die Farbbestimmung lässt sich somit das Dichteprofil des Tropfens messen. Das Manko: Man muss wissen, in welcher Tiefe des Tropfens sich kristalline Strukturen befinden – ein Ding der Unmöglichkeit, will man sich der Frage mit weißem Licht nähern.
"Dieses Dilemma konnten wir lösen, indem wir statt weißem Licht monochromatisches Licht verwenden, also Licht einer einzigen Wellenlänge, und die in verschiedenen Tiefen zurückgeworfenen Strahlen analysieren", erläutert Prof. Dr. Thomas Palberg von der JGU. Rotes, grünes, blaues Licht einer Wellenlänge wird nicht vom gesamten Tropfen zurückgestreut, sondern nur dort, wo der Tropfen die entsprechende Dichte aufweist und die Teilchen den passenden Abstand haben. Der Rest vom Tropfen ist für die jeweilige Wellenlänge durchsichtig: Man kann also doch hineinschauen. "Auf diese Weise können wir das Dichteprofil kristalliner milchiger Tropfen ebenso wie ungeordneter Strukturen in trüben Medien mit hoher Orts- und Zeitauflösung analysieren", so Palberg. Hilfreich ist die Methode beispielsweise bei Sedimentationsversuchen oder frischgerührten, noch inhomogenen Flüssigkeiten wie Wandfarbe mit Zusatzstoffen.
Kristalltropfen dehnen sich mit komplexem Profil aus
In ihrer Veröffentlichung stellen die Forschenden nicht nur die Methode an sich vor, sondern auch die Ergebnisse der Untersuchung an Kristallen aus sich abstoßenden Teilchen. Genauer gesagt: die Partikelkonzentration einer kristallinen Kolloidsuspension, die sich frei in Wasser ausdehnen kann. "Bei dieser Pionierarbeit konnten wir zeigen, dass sich die Kristalle mit einem relativ komplexen Profil ausdehnen – weder herrscht überall die gleiche Dichte mit einer präzisen Kante am Rand noch tritt ein reines Diffusionsprofil auf, wie man es von einem Tropfen in Flüssigkeit erwartet", erklärt Palberg. Zudem dehnt sich die Kristallkugel zunächst schnell aus, bevor sie nach und nach zusammenschrumpft.
Parallel zu den Mainzer Experimenten wurde in der Gruppe von Prof. Dr. Hartmut Löwen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Dichteprofil mittels einer dynamischen Dichtefunktionalmethode theoretisch berechnet. "Es stellte sich ein guter Vergleich zwischen Experiment und Theorie heraus, was die Vorhersagekraft dieser Art Theorie unterstreicht", betont Löwen. In der Tat zeigt auch das berechnete Dichteprofil ein zentrales Maximum und einen verflachenden Dichtegradienten. Sogar der Zeitpunkt der maximalen Ausdehnung der kristallinen Kugel wird genau getroffen. Die Größe der Kugel wird also von zwei gegenläufigen Prozessen bestimmt: So dehnt sie sich zum einen fortlaufend aus, während sie sich gleichzeitig vom Rand her durch Abschmelzen auflöst. "Diese Vorgänge unterscheiden sich damit qualitativ deutlich von den Vorhersagen aus den Modellierungen von Plasmen", fasst Palberg zusammen. In weiteren Untersuchungen wollen die Forschenden die Abstoßung der Teilchen systematisch variieren und schauen, wie sich das auf das Dichteprofil und die Expansionsdynamik auswirkt.