EU-Förderung für Forschungsarbeiten an Materialien mit sowohl künstlichen als auch lebensartigen Eigenschaften
16.12.2020
Kluge, intelligente Materialien, die künstlich herzustellen sind und gleichzeitig lebensartige Eigenschaften aufweisen – dieses Forschungsziel verfolgt der Chemiker Prof. Dr. Andreas Walther und erhält dafür nun eine EU-Förderung in Höhe von 2 Millionen Euro. Mechanische Materialien sollen bei den geplanten Arbeiten mit der Fähigkeit sich anzupassen, zu lernen und zu interagieren ausgestattet werden. Die Koevolution von solchen synthetischen Materialien mit Zellen ist ein Langzeitziel und würde die Grenzen zwischen toter und lebender Materie verschwimmen lassen. Der Europäische Forschungsrat, kurz ERC für European Research Council, hat für das Projekt "Metabolic Mechanical Materials: Adaptation, Learning & Interactivity" (M3ALI) einen ERC Consolidator Grant bewilligt, eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU, die an Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher vergeben wird. Andreas Walther kam im Oktober 2020 von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU).
Mechanische Materialien mit der Fähigkeit zur Anpassung, zum Lernen und zur Interaktion ausstatten
Kunststoffe werden seit über 100 Jahren industriell hergestellt und haben mittlerweile alle Lebensbereiche erobert. "Kunststoffe oder generell Materialien mit einer polymeren Struktur haben das Leben im vergangenen Jahrhundert geprägt und verbessert. Heute gibt es Polymere, die sich auf äußere Reize hin verändern, oder bioinspirierte Entwicklungen mit neuen Funktionalitäten und neuen Eigenschaften", erklärt Andreas Walther. Diese Materialien sind jedoch im Vergleich zu lebenden, sich selbst organisierenden Systemen weit weniger komplex und dynamisch. "Falls wir in der Lage wären, Konzepte von Leben auch in synthetische Materialien zu vermitteln, könnten wir diese statischen Stoffe zu dynamischen, wirklich intelligenten und voll interaktiven Materialsystemen entwickeln."
Vor diesem Hintergrund ist das zentrale Ziel von M3ALI, Konzepte für Adaption, für einfaches Lernen durch Training und für Interaktion in polymere Materialien einzuführen. Die Materialien würden Interaktionen mit Zellen zulassen, sodass sich eine Art Sprache zwischen Materie und Zellen entwickelt und sich beide gegenseitig beeinflussen und gemeinsam weiterentwickeln können.
Auf dem Weg zu Materialien mit lebensartigen Eigenschaften mit adaptivem Verhalten ist nach Darstellung von Walther vor allem wichtig, dass Gedächtnisfunktionen verankert werden, sodass ein Material seine Vergangenheit erinnert und sein künftiges Verhalten entsprechend ausrichtet. Außerdem müssen Wege zur Signalverarbeitung eingerichtet und Kommunikationsformen etabliert werden, um unterschiedliche Signale – chemische, physikalische oder mechanische – jeweils zu übersetzen.
Die Grundlage für diese intelligenten Materialien sollen Hydrogele auf Basis von DNA bilden. "Mit M3ALI möchte ich verschiedene Forschungsfelder verknüpfen und unsere bisherigen Arbeiten zusammenführen. Die neue Richtung, die wir einschlagen, sind metabolisch-mechanische Materialien, die trainiert werden können, die lernen und sich anpassen und die in Systemen ein interaktives Verhalten zeigen", fasst Walther die künftigen Aufgaben zusammen. Eine mögliche Anwendung könnten beispielsweise Gewebekulturen für einen künstlichen Gewebeaufbau darstellen oder auch trainierbare, also lernende Materialien wie etwa künstliche Muskeln.
ERC-Förderung setzt bahnbrechenden Ansatz voraus
Andreas Walther, geboren 1980, hat an der Universität Bayreuth studiert und 2008 in Chemie über selbstorganisierte Materialien promoviert. Als Postdoc befasste er sich an der Aalto-Universität in Helsinki, Finnland, mit biomimetischen hybriden Materialien. 2011 kehrte Walther nach Deutschland zurück und baute am DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen eine Forschungsgruppe auf. 2016 wurde Andreas Walther nach Freiburg berufen und war bis September 2020 als Professor am Institut für Makromolekulare Chemie der Universität Freiburg, am Freiburger Materialforschungszentrum (FMF) und als stellvertretender Direktor am Freiburger Zentrum für interaktive Werkstoffe und bioinspirierte Technologien (FIT) tätig. Er war Senior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies und am Strasbourg Institute for Advanced Study und koordinierte zudem das deutsch-französische Studienprogramm "Polymer Science". Überdies ist er einer der Gründer des Freiburger Exzellenzclusters "Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems" (livMatS), in dem er sich auch künftig als Assoziierter Wissenschaftler engagieren wird. Im Oktober 2020 wurde Walther als Professor für Makromolekulare Chemie an die Johannes Gutenberg-Universität Mainz berufen. Er ist außerdem Fellow des Gutenberg Forschungskollegs (GFK) an der JGU.
Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU für einzelne Wissenschaftler. Der Europäische Forschungsrat fördert damit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 7 bis 12 Jahre nach der Promotion. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Exzellenz müssen die Antragsteller den bahnbrechenden Ansatz ihres Projekts und seine Machbarkeit nachweisen, um die Förderung zu erhalten. Die Förderdauer beträgt fünf Jahre.