Genmutationen des wichtigen Abwehrenzyms SOD1 untersucht
11.02.2008
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine schnell fortschreitende, unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der auf bisher unbekannte Weise bestimmte Nervenzellen, die unsere Muskulatur steuern, absterben. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde ALS im letzten Jahr bekannt, als der Maler Jörg Immendorff an dieser Nervenkrankheit verstarb. Neurowissenschaftler am Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz haben in Zusammenarbeit mit einer Forscherkollegin aus Heidelberg nun neue Hinweise auf den molekularen Mechanismus der Krankheitsentstehung entdeckt. Die Arbeit wurde im Journal Human Molecular Genetics veröffentlicht (Hum. Mol. Genet., Advance Access published on January 22, 2008).
Bei der ALS sind sowohl zufällig auftretende (sporadische) Formen, als auch genetisch vererbbare (familiäre) Formen bekannt. Veränderungen im Gen des wichtigen Abwehrenzyms Kupfer-Zink-Superoxiddismutase (SOD1), das in allen Körperzellen vorkommt, bilden den hauptsächlichen Auslöser der vererbten ALS. Obwohl diese Mutationen bereits vor 15 Jahren erkannt wurden, sind die genauen Mechanismen, die zum selektiven Absterben der sogenannten Motorneuronen bei der ALS führen, weithin unbekannt. Frühere Studien zeigten, dass genetisch veränderte, mutante SOD1 nicht durch den Verlust der Enzymaktivität ALS auslösen kann, sondern indem eine oder mehrere, bisher unbekannte toxische Eigenschaften erworben werden.
In der jetzt veröffentlichten Studie konnten die Mainzer Wissenschaftler um Dr. Albrecht Clement und Prof. Christian Behl belegen, dass eine der möglicherweise schädlichen Eigenschaften mutanter SOD1, nämlich die Tendenz Proteinaggregate zu bilden und damit die zelluläre Physiologie zu beeinträchtigen, nicht zur Toxizität beiträgt. "Das hat uns besonders überrascht, weil bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson die Zusammenballung von Eiweißstoffen zu solchen Proteinaggregaten als der zentrale krankheitsauslösende Prozess diskutiert wird", erklärt Behl. "Für die untersuchten familiären Fälle der ALS gilt dieses Konzept offensichtlich nicht."
Um dies zu erarbeiten, wurden von den Mainzer Forschern speziell konstruierte SOD1-Proteinformen eingesetzt. SOD1 wird üblicherweise erst dann enzymatisch aktiv, wenn zwei SOD1-Moleküle ein sogenanntes Homodimer bilden. Bei Patienten mit dominant vererbten SOD1-Mutationen kommen sowohl mutante als auch normale, wildtypische SOD1-Proteine vor. In der vorgelegten Arbeit konnte nun erstmals gezeigt werden, dass durch die Bildung von sogenannten Heterodimeren zwischen mutanter und wildtypischer SOD1 die Aggregationsneigung mutanter SOD1 vermindert ist. Werden nun diese Heterodimere in kultivierte Zellen oder in Nervenzellen des Fadenwurms C. elegans als Modellorganismus eingebracht, ist deren toxische Wirkung trotz der verringerten Aggregatbildung überraschenderweise nicht vermindert. Im Gegenteil: Bei manchen SOD1-Mutationen zeigen sogar erst diese Heterodimere, also die Kombination aus mutanter und normaler, wildtypischer SOD1, einen schädlichen Einfluss sowohl auf die Zellen als auch auf den Wurm C. elegans.
Die Arbeit weist darauf hin, dass die toxische Wirkung von mutanter SOD1 eher von löslichen (nicht aggregierten) Proteinen und/oder einer untypischen enzymatischen Aktivität ausgeht. Die genaue Kenntnis dieser toxischen Eigenschaften, die derzeit im Mainzer Labor intensiv erforscht werden, kann dann im Folgenden zur Entwicklung neuer Therapien führen.
Gefördert wurde die Arbeit vom Interdisziplinären Forschungszentrum für Neurowissenschaften (IFZN) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der Stiftung für Innovation Rheinland-Pfalz und dem Graduiertenkolleg Neurowissenschaften an der Universität Mainz.