Klimaforscher lösen Rätsel einer riesigen Aerosol-Schicht in der Atmosphäre
10.07.2019
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DES KARLSRUHER INSTITUTS FÜR TECHNOLOGIE UND DER JOHANNES GUTENBERG-UNIVERSITÄT MAINZ
In 12 bis 18 Kilometern Höhe über dem Mittleren Osten und Asien erstreckt sich die Asiatische Tropopausen-Aerosol-Schicht (ATAL). Diese Ansammlung von Feinstaubteilchen wurde 2008 erstmals im asiatischen Monsun nachgewiesen. Ihre Zusammensetzung und Wirkung waren bisher jedoch nicht erforscht. Ein europäisches Konsortium von Wissenschaftlern konnte nun erstmals zeigen, woraus diese Schicht besteht: In weiten Teilen der ATAL wiesen die Forscher hohe Konzentrationen von Ammoniumnitrat in den Staubpartikeln nach. Diese Substanz hat ihren Ursprung in gasförmigem Ammoniak, einem Spurengas, das vor allem durch die Landwirtschaft freigesetzt wird. Seine Ergebnisse stellt das Konsortium in einer Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) in der Zeitschrift Nature Geoscience vor.
Das Forscherteam hat mit einer hoch spezialisierten Kombination aus Fernerkundungsmessungen, in-situ-Messungen, meteorologischen Modellrechnungen, dezidierten Labormessungen und detaillierten numerischen Simulationen die Verteilung und Zusammensetzung der Aerosole in der ATAL untersucht. Aerosole sind kleinste Schwebeteilchen aus vielfältigen natürlichen und vom Menschen verursachten Quellen. In der Atmosphäre können sie die Wolkenbildung beeinflussen, denn sie wirken als Kondensationskerne, an denen sich gasförmiger Wasserdampf anlagert und die dadurch die Wolkentropfen bilden. Das Team konnte nun erstmals ein Forschungsflugzeug in die oberen Stockwerke des asiatischen Monsuns bis in 20 Kilometer Höhe bringen und dort Schlüsselprozesse von globaler Bedeutung erforschen. Die verschiedenen Methoden und Instrumente ergänzten sich so, dass sich die Messwerte gegenseitig bestätigen konnten. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT, des Forschungszentrums Jülich, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz, des Alfred-Wegener-Instituts, der Universität Wuppertal sowie des Laboratoire de Météorologie Dynamique in Paris und des Istituto di Scienze dell'Atmosfera e del Clima in Rom.
"Überraschenderweise konnten wir in weiten Teilen der ATAL kristallines Ammoniumnitrat als Hauptbestandteil nachweisen", erklärt Dr. Michael Höpfner vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung (IMK-AAF) des KIT. "Damit haben wir das langjährige Rätsel über die Zusammensetzung der ATAL gelöst." Denn bisher galt es als unwahrscheinlich, dass dieses Aerosol in solch großen Höhen vorkommt, da Regen das Vorläufergas Ammoniak sehr schnell aus der Atmosphäre wäscht. "Jedoch konnten wir beispiellose Ammoniak-Konzentrationen während des asiatischen Monsuns feststellen: Die Werte sind bis zu 50 Mal höher als in zurückliegenden Messungen", so Höpfner.
Ammoniumnitrat wird aus Ammoniak gebildet, das vor allem auf landwirtschaftliche Prozesse zurückgeht und besonders bei der Viehhaltung und der Düngemittelanwendung in der Atmosphäre freigesetzt wird. In Asien sind heute die höchsten Ammoniak-Emissionen festzustellen. Während des Monsuns werden die verschmutzten Luftmassen von der Landoberfläche in Höhen bis zu 18 Kilometern transportiert. Auf dem Weg in diese Höhen reagiert Ammoniak zu Ammoniumnitrat, einem Aerosol, das sowohl die Bildung als auch die Eigenschaften von Wolken beeinflusst.
Mit an Bord: Das in Mainz entwickelte Massenspektrometer ERICA
Für die Studie, die kürzlich im Forschungsmagazin Nature Geoscience veröffentlicht wurde, nutzte das Wissenschaftlerteam Daten aus einer Vielzahl von Quellen, wie die des in Mainz neu entwickelten ERICA-Massenspektrometers, das durch einen ERC Advanced Research Grant von der Europäischen Union finanziert wurde. Dieses Instrument bestimmt mithilfe massenspektrometrischer Methoden direkt die chemische Zusammensetzung von Aerosolpartikeln während der Messflüge. "Dass der Einsatz so vieler verschiedener Methoden an demselben Punkt nahezu gleiche Resultate erzielt, ist außergewöhnlich", betont Prof. Dr. Stephan Borrmann, stellvertretender Leiter des Instituts für Physik der Atmosphäre der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Direktor der Abteilung Partikelchemie des Max-Planck-Instituts für Chemie. Diese Ergebnisse sind vor allem für die Wechselwirkungen von Wolken und Aerosolen wichtig, eine der größten Unsicherheiten in der Klimamodellierung. Zudem belegen sie, dass das am Boden emittierte Ammoniak großen Einfluss auf weiter entfernte Prozesse in der oberen Troposphäre und möglicherweise das asiatische Klima hat.
Die Flugzeugkampagne war Teil des Projekts StratoClim, in dem 37 wissenschaftliche Organisationen aus elf europäischen Ländern, den USA, Bangladesch, Indien und Nepal unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, zusammenarbeiten. Das Höhenforschungsflugzeug M55-Geophysika trug dabei 25 speziell entwickelte Messinstrumente in Flughöhen von über 20 Kilometern, etwa zweifach höher als übliche Flugzeuge erreichen können. Elf dieser Instrumente wurden von den Wissenschaftlern aus Mainz beigetragen.
Durch die chemischen Analysen während der Messflüge konnte mithilfe des Mainzer ERICA-Instrumentes das Vorhandensein der schwefelhaltigen Spuren in den einzelnen Feinstaubteilchen auch direkt in der freien Atmosphäre nachgewiesen werden. Weitere in-situ Messungen der Mainzer Wissenschaftler an Bord der Geophysica lieferten bisher nicht verfügbare, wichtige Daten zur Teilchengröße und Menge der Aerosolpartikel in der ATAL. Anhand dieser Information können die Messungen der Satelliten nachvollzogen und validiert werden.