Förderung in Höhe von 1,7 Millionen Euro für Suche nach ersten Pflanzenfressern unter Landwirbeltieren
10.02.2016
Dr. Thomas Tütken von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erhält eine Förderung des Europäischen Forschungsrats über 1,7 Millionen Euro, um den Beginn der pflanzlichen Ernährung bei Landwirbeltieren zu erforschen. Tütken ist seit Oktober 2013 als Akademischer Rat in der Arbeitsgruppe für Angewandte und Analytische Paläontologie der JGU tätig und befasst sich insbesondere mit der Isotopenanalyse fossiler Knochen und Zähne. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council – ERC) unterstützt sein Projekt über die Ernährung der ersten Landwirbeltiere in den kommenden fünf Jahren mit einem ERC Consolidator Grant. Mit dieser Förderung wird anhand fossiler Zähne von Säugetier-Vorläufern und Dinosauriern untersucht, ob sich die ausgestorbenen Tiere von Pflanzen, Insekten oder anderen Wirbeltieren ernährt haben. Die Forschungsarbeiten dienen auch dazu, Nahrungsnetze früher Landwirbeltiere und das Aussterben einzelner Arten zu rekonstruieren und damit die Evolution von Reptilien, Vögeln und Säugetieren insgesamt besser zu verstehen.
Die Ernährung gilt als ein wichtiger Motor für die Evolution von Wirbeltieren. Als die ersten Exemplare vor etwa 380 Millionen Jahren aus dem Wasser an Land gingen, dürften sie sich zunächst von Insekten ernährt haben. Insekten, so die Vermutungen, waren einfacher aufzufinden und besser zu verdauen als Pflanzen mit ihrem hohen Zelluloseanteil. "Wir nehmen an, dass die ersten Pflanzenfresser beziehungsweise Herbivoren beim Übergang vom Karbon zum Perm vor etwa 300 Millionen Jahren aufgekommen sind. Aber auch später haben sich immer wieder Pflanzenfresser aus Tierfressern entwickelt – das war kein einmaliger Vorgang", erklärt Tütken den derzeitigen Stand der Forschung. Die ersten Herbivoren waren vermutlich säugetierähnliche Reptilien, sogenannte Synapsiden, aus denen die Säugetiere hervorgingen. Später, vor etwa 210 Millionen Jahren, entwickelten sich auch innerhalb der Dinosaurier rein pflanzenfressende Arten.
Fossile Zähne liefern Nahrungssignale
Von was genau sich die ausgestorbenen Wirbeltiere ernährt haben, lässt sich heute nur anhand von Fossilien feststellen. "Ein erster Indikator ist die Zahnform, ob es sich etwa um Mahlzähne oder Schneidezähne handelt. Aber wir schauen genauer, was tatsächlich gegessen wurde und welche chemischen sowie mechanischen Spuren die Nahrung in und auf den Zähnen hinterlassen hat", so Tütken. Der Paläontologe wird hierzu Kalziumisotopenmessungen des Zahnschmelzes vornehmen und die Abnutzungsspuren auf der Zahnoberfläche analysieren. So lässt sich zum Beispiel anhand niedriger Kalziumisotopenverhältnisse im Zahnschmelz nachweisen, ob Knochen aufgenommen wurde und somit ob das Tier ein Fleischfresser war. Pflanzenfresser haben hingegen höhere Kalziumisotopenverhältnisse und Insektenfresser nochmals höhere Werte. Zusätzlich spiegelt das dreidimensionale Relief der Zahnoberfläche auf der Nanometer-Skala den Abrieb durch die letzten Mahlzeiten wider. In einem neuen Forschungsansatz werden diese beiden Methoden erstmals kombiniert und anhand kontrollierter Fütterungsexperimente mit tierischer und pflanzlicher Nahrung an Reptilien und Säugetieren entwickelt und getestet.
Im nächsten Schritt werden die Methoden auf fossile Zähne übertragen, die aus Fundstellen auf der ganzen Welt stammen, darunter auch das berühmte Karoo-Becken in Südafrika mit Vorkommen von Lystrosauriern und anderen vermutlich pflanzenfressenden, säugetierähnlichen Reptilien aus dem Perm. Aber auch in der rheinland-pfälzischen Remigiusberg-Formation nahe Kusel wurde vor einigen Jahren ein Edaphosaurier gefunden, der ein mutmaßlicher früher Pflanzenfresser war und ebenfalls untersucht wird.
Der ERC Consolidator Grant ist eine der höchstdotierten Fördermaßnahmen der EU, die an Wissenschaftler vergeben wird. Der Europäische Forschungsrat fördert damit herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Beginn ihrer unabhängigen Karriere, das heißt in der Regel zwischen 7 und 12 Jahre nach der Promotion, wenn das eigene Forschungsprogramm ausgebaut wird. Zusätzlich zur wissenschaftlichen Exzellenz müssen die Antragsteller den bahnbrechenden Ansatz ihres Projekts und seine Machbarkeit nachweisen, um die Förderung zu erhalten.