Diskrepanz zwischen subjektiver Beurteilung und Untersuchungsergebnissen / Gemeinsame Studie der Universitäten Mainz, Göttingen und Marburg
07.02.2013
Das Lesen elektronischer Bücher ist für das Gehirn nicht anstrengender als das Lesen herkömmlicher, auf Papier gedruckter Büchern. Im Gegenteil: Älteren Menschen fällt das Lesen auf einem Tablet-PC sogar leichter. Dies ergab eine Lesestudie, die unter Federführung von Wissenschaftlern der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) mit Testpersonen unterschiedlichen Alters durchgeführt wurde. "Es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass man auf digitalen Endgeräten schlechter liest oder das Gelesene schlechter behält", so Dr. Franziska Kretzschmar vom Department of English and Linguistics der JGU. "Unsere Untersuchungen zeigen, dass ältere Menschen auf Tablet-PCs sogar besser lesen, vermutlich weil hier die Kontraste stärker sind."
Elektronische Bücher haben in den letzten Jahren insbesondere in englischsprachigen Ländern einen starken Zulauf und ihre Verkaufszahlen liegen mittlerweile schon über denen klassischer Printbücher. Deutsche Leser sind gegenüber digitalen Texten noch etwas zurückhaltend: Elektronische Bücher machten im Jahr 2011 nur etwa 1 Prozent der gesamten Buchverkäufe aus. Nach ihrem Lieblingsmedium befragt, liegt bei den Deutschen das gedruckte Buch weit vor dem E-Book. Der Grund dafür mag auch in einem allgemeinen Misstrauen gegenüber neuen Technologien liegen.
So fanden auch die 56 Testpersonen, die an der Studie der Universitäten Mainz, Göttingen und Marburg teilnahmen, das Lesen auf Papier am angenehmsten und konstatierten eine bessere Lesbarkeit. Im Experiment zeigte sich aber, dass diese Einschätzung, die von den jungen und älteren Probanden gleichermaßen geäußert wurde, nicht mit der Analyse der Augenbewegungen und der Gehirnströme übereinstimmt. Die Testpersonen im Alter von 60-77 Jahren wiesen eine höhere Lesegeschwindigkeit und eine geringere Gehirnaktivität beim Tablet-PC auf im Vergleich zum gedruckten Buch und auch im Vergleich zu einem E-Ink-Reader wie etwa dem Kindle. "Der kognitive Aufwand ist für die älteren Probanden beim Lesen am Tablet-PC geringer als beim E-Ink-Reader und der Papierseite. Dies wird durch die Beobachtung der Blickbewegungen beim Lesen und der gleichzeitigen Messung der Gehirnaktivität eindeutig bestätigt", so Kretzschmar. Der Grund für die aus neuronaler Sicht bessere Lesbarkeit ist vermutlich der stärkere Kontrast durch die Hintergrundbeleuchtung des Tablet-Computers. Diese hilft bei der Buchstaben- und Worterkennung und wirkt sich bis in die höchsten Sprachverarbeitungsebenen aus. Bei den jüngeren Probanden im Alter von 21-34 Jahren scheint das keine Rolle zu spielen: Hier schnitten die drei Lesemedien in etwa gleich ab. Und egal ob Jung oder Alt, das Leseverständnis war in beiden Gruppen für alle drei Lesemedien gleich gut.
Die Ergebnisse zeigen also, dass die subjektive Beurteilung digitaler Lesemedien nicht mit den tatsächlichen kognitiven und neuronalen Anstrengungen bei der Informationsverarbeitung übereinstimmt, so Wissenschaftler aus Mainz, Göttingen und Marburg in einer Veröffentlichung in PLOS ONE. Vermutlich sei der subjektive Eindruck stark an den hohen Status des traditionellen, gedruckten Buchs als Teil unseres kulturellen Erbes geknüpft.