Byzanz als Schlüssel zum Verständnis der euromediterranen Kriegskulturen

Neues DFG-Graduiertenkolleg zum Thema "Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen. Austausch, Abgrenzung und Rezeption"

21.06.2018

Die Bedeutung von Byzanz für die europäische Kulturgeschichte war enorm, was allerdings in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt ist. Dabei lässt sich die Geschichte des gesamten euromediterranen Raums ohne Berücksichtigung von Byzanz kaum verstehen. Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt eines neuen Forschungsvorhabens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Zusammen mit außeruniversitären Projektpartnern wird die Rolle des Byzantinischen Reichs für die euromediterranen Kriegskulturen ab Herbst 2018 im Rahmen eines Graduiertenkollegs (GRK) untersucht. Unter Kriegskulturen werden dabei die Formen und Praktiken des Kriegs ebenso wie das Denken über den Krieg in seinen schriftlichen, materiellen und musikalischen Ausformungen verstanden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat das Projekt genehmigt und stellt in den kommenden viereinhalb Jahren eine Gesamtsumme von knapp 3,8 Millionen Euro dafür bereit. "Unser Graduiertenkolleg ist in hohem Maße innovativ und wir freuen uns, dass es die Zustimmung der DFG gefunden hat", erklärt Prof. Dr. Johannes Pahlitzsch als Sprecher des neuen GRK "Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen. Austausch, Abgrenzung und Rezeption".

Innovativ sind insbesondere zwei Aspekte: Zum einen wird die Bedeutung von Byzanz für die Geschichte und Kultur des euromediterranen Raums erstmals im Rahmen einer strukturierten Graduiertenausbildung betrachtet. Der Blick auf den euromediterranen Raum umfasst dabei nicht nur Europa und das Mittelmeer mit den angrenzenden Küstenregionen, sondern auch den ostslavischen Raum sowie Nordafrika und den Nahen Osten. Zum anderen wird die Thematik der Kriegskulturen kulturübergreifend mithilfe eines interdisziplinären und vergleichenden Ansatzes von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit hinein untersucht. Das Byzantinische Reich bestand als Nachfolger des Römischen Reichs mit seiner Hauptstadt Konstantinopel bis ins 15. Jahrhundert. Schon aufgrund seiner geografischen Lage stand das Reich im ständigen Austausch, aber auch immer wieder im Konflikt mit Nachbarn und Konkurrenten. Daraus ergaben sich kriegerische Auseinandersetzungen mit der lateinischen, slavischen und islamischen Welt und als Konsequenz vielfältige Wechselbeziehungen zwischen den jeweiligen Kriegskulturen.

Im Rahmen des Leibniz-WissenschaftsCampus Mainz: Byzanz zwischen Orient und Okzident bringt die JGU bereits seit 2011 gemeinsam mit dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) die interdisziplinäre Byzanzforschung voran und hat Mainz als internationales Zentrum auf diesem Gebiet etabliert. Das Graduiertenkolleg, an dem auch das Mainzer Zentrum für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften (mainzed) eingebunden ist, wurde aus dieser Forschungskooperation heraus initiiert.

Im Laufe von zunächst viereinhalb Jahren können 24 Doktorandinnen und Doktoranden sowie ein Postdoc in unterschiedlichen, vernetzten Forschungsfeldern arbeiten: von der Klassischen Archäologie und Alten Geschichte über die Kirchengeschichte, Byzantinistik, Christliche Archäologie und Byzantinische Kunstgeschichte, Frühmittelalterliche Archäologie, Mittelalterliche Geschichte und Osteuropäische Geschichte bis hin zur Musikwissenschaft.

"Wir freuen uns, an eine bereits etablierte, erfolgreiche Zusammenarbeit mit der JGU im Rahmen dieses neuen Graduiertenkollegs anknüpfen zu können", betont Prof. Dr. Irene Dingel, Direktorin der Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte des IEG. "Dass mit dem RGZM und mainzed weitere enge Kooperationspartner des IEG beteiligt sind, stärkt alle Beteiligten und wird dem Graduiertenkolleg eine gute innere Dynamik verleihen."

Zusammenhänge erkennen – Trennung überwinden

"Die große Bedeutung von Byzanz für die europäische Kulturgeschichte ist unbestritten", fasst Prof. Dr. Johannes Pahlitzsch, Leiter des Arbeitsbereichs Byzantinistik an der JGU und Vorstandsmitglied des WissenschaftsCampus Mainz, zusammen. "Leider besteht darüber in der Öffentlichkeit, zumindest in Westeuropa, nur wenig Kenntnis – vielleicht ein Grund, weshalb sich bis heute die Vorstellung von einer zweigeteilten europäischen Kultur gehalten hat, einer westlichen Kultur einerseits und einer orthodoxen, byzantinisch beeinflussten Kultur andererseits."

Das Graduiertenkolleg "Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen. Austausch, Abgrenzung und Rezeption" soll helfen, diese Trennung zu überwinden. Es wird, so die Erwartungen der Kooperationspartner, auf alle Fälle einen Beitrag dazu leisten, das Defizit in der interdisziplinären Erforschung der Bedeutung von Byzanz zu beheben. Außerdem könnte es den beteiligten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern eine weitere, über das eigene Fach hinausgehende Perspektive vermitteln und damit eine nachhaltige Entwicklung anstoßen. "Nur so lassen sich verzerrte Vorstellungen von getrennten kulturellen Blöcken, die bis heute nachhaltig vor allem das Bild in der Öffentlichkeit prägen, korrigieren", so die Projektpartner.