Zehnjährige Perspektive für Grabungen in Mittelägypten / 513.000 Euro für die nächsten drei Jahre bewilligt
27.07.2007
Nach der Blütezeit der großen ägyptischen Pyramidenbauer im Alten Reich gewann etwa 2.000 Jahre v. Chr. ein Fürstengeschlecht Mittelägyptens an politischer Bedeutung und wirtschaftlicher Größe: die Machthaber des Gebiets um Assiut, einem zu Lande und zu Wasser strategisch wichtigen Posten. Die wichtigste Lokalgottheit war bezeichnenderweise der schakalsköpfige Upuaut, der Wegeöffner. Die Fürsten standen auf Seiten des neu aufkommenden Herrschergeschlechts der Herakleopoliten im Norden, die die Thebaner im Süden bekämpften, wodurch Assiut zu einem Hauptschauplatz des Kampfgeschehens wurde. Die politische Situation und die Rolle der Fürsten in den Kämpfen sind in Inschriften beschrieben, die sich in ihren groß angelegten Felsgräbern im Westen von Assiut fanden. In vierjähriger Arbeit haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und der ägyptischen Universität Sohag bereits wertvolle neue Entdeckungen gemacht, die die bisherigen Kenntnisse der altägyptischen Nekropole von Assiut wesentlich erweitern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat das Projekt nun in die Langfristförderung aufgenommen und damit eine Unterstützung bis zum Jahr 2017 in Aussicht gestellt. Für die kommenden drei Jahre bis 2010 wurden zunächst rund 513.000 Euro bewilligt.
Assiut, die größte Stadt Mittelägyptens, liegt etwa 375 Kilometer südlich von Kairo und war schon seit Beginn des Pharaonenreiches besiedelt. In der Neuzeit war sie aufgrund ihrer Lage am Ende wichtiger Karawanenwege einer der größten Umschlagplätze für den Sklavenhandel, heute ist die Region durch einen großen koptischen Bevölkerungsanteil gekennzeichnet. Wenngleich die antike Siedlung aus dem 21. und 20. Jahrhundert v. Chr. wohl unwiederbringlich unter der modernen Stadt verschwunden sein dürfte, so liefert die antike Nekropole, der Gräberberg im Westen der Stadt, zahlreiche Informationen über das alte Assiut.
Bereits 1799 hat die napoleonische Expedition Zeichnungen von Grabwänden und Texten angefertigt, die heute von unschätzbarem Wert sind, weil zwischenzeitlich durch Steinbrucharbeiten und umfangreiche Plünderungen vieles zerstört wurde. Am Rande des Wüstengebirges gelegen, umfasst die Nekropole mehr als eintausend in den Fels gehauene Gräber aus der Zeit des Alten Reichs bis in die römische Epoche, aber auch koptische Klöster und Wohnnischen, und birgt damit wertvolle Informationen über die Geschichte der Stadt, ihre Bewohner und die angrenzenden Gebiete.
Seit 80 Jahren gab es keine systematischen wissenschaftlichen Arbeiten mehr vor Ort, da das Gelände die letzten Jahrzehnte in militärischem Sperrgebiet lag. Nach einem ersten Survey im Jahr 2003 konnten die Ägyptologen 2004, finanziert vom Forschungsfonds der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die erste Kampagne einer breit angelegten archäologischen Feldforschung in Assiut durchführen. Sie ermöglichte eine erstmalige Kartierung und Bestandsaufnahme des stark durchlöcherten und verzweigten Gräberbergs und brachte zahlreiche Funde, darunter über 300 Fragmente von Dienerfigürchen sowie unterschiedlichste Keramik, Teile von Särgen und weitere Beigaben aus den Grabausstattungen. "Ein Höhepunkt war jedoch die Entdeckung eines bislang völlig unbekannten Grabes am Ende der Kampagne des Jahres 2005", erläutert Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen vom Institut für Ägyptologie und Altorientalistik der JGU. "Es liefert einzigartige Befunde zum ägyptischen Schulwesen." Das Grab gehört einem lokalen Fürsten vom Ende der Ersten Zwischenzeit, der Epoche zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich, namens Iti-ibi(-iqer), gestorben etwa 2030 v. Chr. Die Wände des Grabes waren vollständig dekoriert, im Vorhof wurden 14 kleine Schachtgräber freigelegt, die zum Teil noch ungestörte Bestattungen aus der Zeit des Grabbesitzers enthielten. 500 Jahre später wurden die Wände als Untergrund für etwa 140 literarische Schultexte und Besucherinschriften verwendet.
"Mit der kontinuierlichen Förderung durch die DFG können wir nun zunächst drei weitere Grabungsarbeiten mit der Universität Sohag durchführen und die Funde entsprechend bearbeiten und publizieren", erklärt Verhoeven-van Elsbergen. Die Projektleiterin erwartet davon neue Erkenntnisse über die Geschichte und Kunst einer Epoche, die von Bürgerkrieg und einem darauf folgenden kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet war. "Wir möchten außerdem den Nekropolenberg und seine Nutzung über mehrere Jahrtausende hinweg analysieren, denn Assiut besaß einen großen Anteil am kulturellen Gedächtnis des Alten Ägypten."
Neben Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen als Leiterin sind an dem Projekt der Mainzer Wissenschaftler Prof. Dr. Jochem Kahl als hauptamtlicher Mitarbeiter und Grabungsleiter auf deutscher Seite sowie auf ägyptischer Seite Prof. Dr. Mahmoud El-Khadragy von der Universität Sohag beteiligt. Außerdem arbeiten Ägyptologen und Studierende aus Mainz, Münster und Sohag, eine Anthropologin, eine Zooarchäologin, ein Archäobotaniker, eine Bauforscherin, ein Fotograf und zwei Epigraphiker an dem Feldprojekt mit.
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