Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz und der JGU identifizieren für Myelinbildung essenzielles Protein / Veröffentlichung im Journal of Biological Chemistry
05.03.2012
Mainzer Wissenschaftler haben einen Mechanismus identifiziert, der eine wichtige Rolle bei der Bildung von Myelin im zentralen Nervensystem spielt. Myelin beschleunigt die Reizweiterleitung im Gehirn, indem es die Fortsätze der Nervenzellen, die Axone, umgibt und diese somit isoliert – vergleichbar mit der Plastikisolierung eines Stromkabels. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler um Dr. Robin White vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universitätsmedizin Mainz und Prof. Dr. Jacqueline Trotter, Leiterin der Abteilung Molekulare Zellbiologie/Biologie für Mediziner am Fachbereich Biologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), in der anerkannten Fachzeitschrift Journal of Biological Chemistry veröffentlicht.
Damit Nervenzellen effizient Informationen über weite Distanzen übermitteln können, hat sich bei höheren Organismen die sogenannte saltatorische Erregungsleitung entwickelt. Diese wird ermöglicht, indem die zur Reizweiterleitung spezialisierten axonalen Fortsätze der Nervenzellen in bestimmten Abständen von Myelin, einer Art Isolierschicht, umgeben sind. Bei Krankheiten wie Leukodystrophien oder Multipler Sklerose kommt es zu fehlerhaften Myelinbildungen während der Entwicklung oder ausbleibenden Reparaturmechanismen nach Schädigungen intakter Myelinstrukturen. Die aktuelle Arbeit der Mainzer Wissenschaftler leistet einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis dieser komplexen molekularen Mechanismen der Myelinbildung.
Im zentralen Nervensystem entsteht Myelin dadurch, dass Oligodendrozyten, ein bestimmter Typ von Gehirnzellen, ihre Zellfortsätze mehrfach um die Axone der Nervenzellen wickeln und einen kompakten Stapel von Zellmembranen – die Myelinscheide – ausbilden. Es gibt zwei Hauptproteine, aus welchen Myelin gebildet wird, und deren Synthese unterschiedlich aktiviert und reguliert wird. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Synthese des sogenannten MBP (Myelin Basisches Protein), welches der Stabilisierung der Myelinmembranen dient.
Um zu gewährleisten, dass Myelin ortsspezifisch und zum richtigen Zeitpunkt generiert wird, muss es bestimmte neuronale Signale geben, die die Syntheseleistung und räumliche Ausrichtung des Oligodendrozyten beeinflussen – im Fall des MBP scheint dies der Kontakt des Oligodendrozyten mit einem Axon zu sein. Durch diesen Kontakt wird eine Signalkaskade ausgelöst, die letztlich zur Synthese des MBP "vor Ort" führt.
Wie diese Signalkaskade, die die Synthese von MBP auslöst und reguliert, genau aussieht, ist unklar – eine weitere wichtige Komponente des Signalweges haben die Mainzer Wissenschaftler jedoch in ihrer aktuellen Arbeit identifiziert. "Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass das Protein 'hnRNP F' ein wichtiger Regulator der Synthese von MBP ist", erläutert White. "Für eine normale MBP-Synthese bedarf es bestimmter Mengen dieses Proteins, fehlt es oder ist zuviel davon da, ist die MBP-Synthese nachhaltig gestört."
"Darüber hinaus ist bekannt, dass auch das zweite Hauptmyelinprotein, das PLP (Proteolipid-Protein), durch das Eiweiß 'hnRNP F' beeinflusst wird", betont Constantin Gonsior, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an diesem Projekt forschte. "Dass beide Hauptmyelinkomponenten durch dieses Protein reguliert werden, unterstreicht dessen große Bedeutung für die Myelinsynthese insgesamt."
Die Aufklärung der molekularen Grundlagen der Myelinbildung ist für verschiedene neurologische Erkrankungen von Bedeutung, bei denen es zu einem Verlust der schützenden Myelinschicht kommt, wie beispielsweise Multipler Sklerose oder Leukodystrophien. Dies gilt besonders für Strategien, welche die Remyelinisierung und damit die Regeneration des geschädigten Nervengewebes zum Ziel haben. Denn der Verlust der Myelinschicht kann zunächst meistens durch Remyelinisierung repariert werden, dies ist jedoch mit fortschreitendem Krankheitsverlauf aus ungeklärten Ursachen nicht mehr möglich. "Interessanterweise findet man bei Patienten, die an einer bestimmten Form der Leukodystrophie, der sogenannte 'Vanishing White Matter Disease', leiden, eine Mutation, die dazu führt, dass hnRNP F in geringeren Mengen gebildet wird", so Trotter. "Unser Beitrag hilft, einen molekularen Erklärungsansatz für Myelinisierungsdefizite in diesen Patienten zu liefern."