Totenverzeichnisse aus dem Mittelalter als wertvolle Quellen für historische Forschung

Spätmittelalterlich Nekrologe bislang kaum erforscht

19.11.2021

Viele regionale, kirchliche und städtische Archive bewahren Totenverzeichnisse aus dem Mittelalter auf, die wertvolle Hinweise zur Geschichte einzelner Personen, der Kirche vor Ort oder der Region geben könnten, aber bisher wenig beachtet wurden. "Besonders interessant sind für uns die Nekrologe aus dem Spätmittelalter, die bislang noch kaum erforscht sind", sagt Prof. Dr. Nina Gallion von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Nekrologe sind kalenderartige Auflistungen mit den Namen von Verstorbenen und üblicherweise ihrem Sterbedatum, die von den Klöstern, Stiften und anderen Einrichtungen im Mittelalter geführt wurden. Sie erhalten Hinweise auf das Gebetsgedenken, das von dem Verstorbenen vor seinem Tod oder anschließend von seinen Angehörigen in Auftrag gegeben wurde. Die kirchlichen Einrichtungen erhielten dafür oft eine Entlohnung in Form von Geld oder Besitzungen. Dann wurde für den Verstorbenen beispielsweise jährlich zu seinem Todestag eine Messe verlesen, ein Gebet gesprochen oder eine Fürbitte geleistet.

Nekrologe als Zeichen der Religiosität, aber auch der gesellschaftlichen Stellung der Auftraggeber

Die Erforschung der Nekrologe hat sich bisher auf Verzeichnisse aus dem frühen und hohen Mittelalter konzentriert. "Dagegen besteht für das Spätmittelalter noch ein großer Forschungsbedarf. Etwa zwischen 1250 und 1500 n. Chr. nahm die Zahl der Nekrologe stark zu – wie übrigens das Schrifttum insgesamt", erklärt Nina Gallion, Professorin für spätmittelalterliche Geschichte und vergleichende Landesgeschichte an der JGU. Häufig waren wohlhabende Bürger und Adlige mit einem Kloster enger verbunden und haben dort den Auftrag für eine Fürbitte oder ein Gebet gegen eine Spende erteilt. Dabei standen nicht unbedingt nur religiöse Aspekte im Vordergrund, sondern es konnte damit auch ein gewisser gesellschaftlicher Status demonstriert werden.

Dies ist auch ein Ansatzpunkt für die weitere Forschung: Nekrologe sind für die Kirchengeschichte und Landesgeschichte interessant, aber sie liefern auch reiches Material für die Personengeschichte, beispielsweise zur Erforschung von Adelsfamilien oder auch von Beginen und Beginengemeinschaften. "Die mittelalterlichen Nekrologe sind eine facettenreiche Quellengattung. Sie öffnen uns Türen zu vielen Themenbereichen und Fragestellungen", so Prof. Dr. Nina Gallion. Die Historikerin zählt dazu die systematische Erforschung eines bestimmten Personenkreises, die Untersuchung der Handschriften oder Verzeichnisse in materieller Hinsicht oder die Analyse des Stiftungsverhaltens und der Jenseitsvorsorge der Menschen im Mittelalter.