Neue Zell-Funktionalitäten in dünnen Schichten entwickeln

Mainzer Forscher haben eine Methode entwickelt, mit der sie Zellen neue Funktionalitäten verleihen und eukaryotische Zellfunktionen besser verstehen können

25.08.2021

Wie lassen sich neue und komplexe Funktionalitäten in lebende Zellen einbringen – genauer gesagt in eukaryotische Zellen? Fragen wie diese beschäftigen nicht nur Evolutionsbiologen, sondern auch synthetische Biologen. Um Reaktionen in ihrem Inneren zu trennen und zu organisieren, stülpt die Zelle klassischerweise ein Stück der Membran heraus und bildet einen Raum, eine sogenannten Organelle, in dem sich neue Funktionen entwickeln können. Eine weitere Möglichkeit, neue Funktionen zu entwickeln: In der Zelle bilden sich durch die Phasenseparation getrennte Bereiche, ähnlich wie in einer Salatsoße aus Essig und Öl. Da diese Bereiche nicht durch eine schwer zu überwindende Membran vom restlichen Teil der Zelle abgetrennt sind, können große Moleküle leichter hinein- und hinausgelangen. Man könnte also die membranumschlossenen Organellen mit getrennten Räumen, die phasengetrennten Organellen hingegen mit verschiedenen Raumecken vergleichen.

Einzigartige Funktionen – und mehr Verständnis

Einer der wichtigsten Prozesse in der Zelle ist die Proteinsynthese, bei der der RNA-Code in einen Proteincode übersetzt wird, der quasi den Bauplan für ein bestimmtes Protein bildet. Dies kann man auch als die Sprache der Zelle bezeichnen. Jedes Protein wiederum hat eine festgelegte Funktion im Zellgeschehen, die bereits im RNA-Code festgelegt ist. Wird der RNA-Code anders übersetzt, ändern sich die Funktionen des entstehenden Proteins und es kann mit einzigartigen Eigenschaften ausgestattet werden, die beispielsweise zum An- und Ausschalten der Funktion oder zur Beobachtung genutzt werden können.

Bereits im Jahr 2019 konnten Forscherinnen und Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Instituts für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz zeigen, wie der RNA-Code für bestimmte Proteine übersetzt wird, ohne in die Sprache der ganzen Zelle einzugreifen. Bis dahin vermischten sich beide Sprachen miteinander, ähnlich wie bei einem zweisprachig aufwachsenden Kind. Nun konnte das Forscherteam erneut auf diesen Erfolg aufsetzen: Die Wissenschaftler haben filmähnliche Organellen geschaffen, die die Entwicklung neuer Funktionalitäten erleichtern. "Der größte Zugewinn liegt darin, dass wir extrem kleine Reaktionsräume realisieren konnten. Auf diese Weise können wir mehrere davon gleichzeitig in einer Zelle haben", erläutert Prof. Dr. Edward Lemke, Professor für Synthetische Biophysik und Arbeitsgruppenleiter an der JGU sowie Adjunct Director am IMB. "Wir haben die großen dreidimensionalen Organellen zu Organellen auf einer Membranoberfläche umgewandelt und können komplizierte biochemische Reaktionen nur in diesem dünnen Bereich ablaufen lassen." Und noch mehr: Dieselbe Zelle kann den RNA-Code nun in drei Sprachen – und somit in drei verschiedene Proteine – übersetzen und zwar quasi im gleichen "Zimmer" in verschiedenen "Raumecken", ohne dass sich die Übersetzungen gegenseitig stören. Das Forscherteam kann also einem Protein B, das von einem Protein A abstammt, eine andere Funktion geben – innerhalb des gleichen "Raums".

Dieses neuartige zelluläre Konzept erlaubt nicht nur einzigartige Funktionen, sondern bietet darüber hinaus die Möglichkeit, eukaryotische Zellfunktionen besser zu verstehen. "Wir können etwas darüber lernen, wie kompliziert und einzigartig der Raum nahe der Membran funktionieren kann, welche einmaligen Funktionalitäten er aufweist und welche besonderen Reaktionsräume dort entstehen, wenn man die Proteine durch zweidimensionale Phasenseparation aufkonzentriert", erklärt Dr. Christopher Reinkemeier von der JGU. "Da wir so etwas konstruieren können, können wir jetzt auch besser verstehen, wie die Natur solche Mechanismen nutzt, um neue Funktionalitäten zu schaffen."

Die Forschungsergebnisse sind im Artikel "Dual film-like organelles enable spatial separation of orthogonal eukaryotic translation" im renommierten Fachjournal Cell erschienen.