Bakterielle Symbionten unterstützen Larven und adulte Tiere ihres Wirts auf unterschiedliche Weise
12.06.2020
Insekten, die sich nur von Pflanzen ernähren, haben einige Herausforderungen zu bewältigen. Sie haben aber auch tatkräftige Helfer, die ihnen bei der Versorgung mit wichtigen Nährstoffen zur Seite stehen: Symbiotische Mikroorganismen stellen essenzielle Aminosäuren, Vitamine oder Enzyme bereit und ergänzen so den eingeschränkten Speiseplan ihrer Wirtsinsekten und werten ihn auf. Auch die semiaquatisch lebenden Schilfkäfer haben solche Helfer, die das Angebot an Nährstoffen verbessern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben in Zusammenarbeit mit Forschern am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena sowie Kooperationspartnern in Hamburg und Japan die Beiträge der symbiotischen Bakterien zur ungewöhnlichen Lebens- und Ernährungsweise der Schilfkäfer untersucht. "Die Schilfkäfer konnten dank der Symbiose-Bakterien neue Nischen erschließen. Symbionten erweitern also das ökologische Potenzial ihres Wirts, aber noch spannender ist, dass sie die Anpassungsfähigkeit auch einschränken können", erklärt Prof. Dr. Martin Kaltenpoth, Leiter der Abteilung Evolutionäre Ökologie an der JGU.
Symbionten unterstützen die Ernährung der Schilfkäferlarven unter Wasser
Schilfkäfer sind eine in ökologischer Hinsicht ungewöhnliche Gruppe von Blattkäfern mit ungefähr 165 Arten, die vollständig oder teilweise im Wasser leben. Die Larven der Schilfkäfer befinden sich unter Wasser und ernähren sich von Pflanzensaft, den sie aus den Wurzeln saugen. Die erwachsenen Käfer der meisten Arten leben über Wasser und fressen die Blätter von Pflanzen wie Gräsern und Seggen oder Seerosen. Im Gegensatz zu vielen anderen Blattkäfern unterscheidet sich also die Nahrungsquelle von Larven und adulten Tieren ein und derselben Art beträchtlich. "Das aquatische Lebensstadium der Larven ist ungewöhnlich", erklärt Kaltenpoth und weist darauf hin, dass die Larven unter Wasser auch einen Kokon herstellen, aus dem die erwachsenen Käfer schlüpfen. Bereits seit Anfang der 1930er-Jahre ist bekannt, dass Schilfkäfer in enger Symbiose mit Bakterien leben, die bei den Larven in Blindsäcken am Mitteldarm siedeln, bei den erwachsenen Käfern aber in den sogenannten Malpighischen Gefäßen, die mit unseren Nieren vergleichbar sind. Außerdem war bekannt, dass Larven ohne diese Symbionten keinen Kokon bilden können. Wie genau die symbiotischen Bakterien zur Versorgung ihrer Wirte beitragen, blieb aber rätselhaft.
Die Arbeitsgruppe um Kaltenpoth hat mithilfe von Hochdurchsatz-Sequenzier-Technologien die Erbsubstanz der Symbionten von 26 Schilfkäferarten aus Nordamerika, Asien und Europa aufgeschlüsselt und die Komplettgenome der Symbionten rekonstruiert. Auf dieser Basis konnten Vorhersagen gemacht werden, was diese Mikroben für ihren Käfer-Wirt tun. Demnach können die Bakterien fast sämtliche essenziellen Aminosäuren produzieren, also die zehn lebensnotwendigen Eiweißbausteine, die die Käfer nicht selbst herstellen können. Dies dürfte gerade für die Larven besonders wichtig sein, weil der Pflanzensaft aus den Wurzeln nicht genügend Aminosäuren liefert – und vor allem nicht genug, um den eiweißreichen Kokon zu bauen. "Wir kennen diese Kooperation zur Versorgung mit allen oder den meisten essenziellen Aminosäuren zum Beispiel von Blattläusen und Zikaden, für Käfer ist das allerdings ungewöhnlich", merkt Evolutionsbiologe Kaltenpoth an.
Einige Symbionten helfen erwachsenen Käfern beim Abbau von Pektinen
Noch interessanter ist jedoch der zweite Aspekt des Zusammenlebens von adulten Schilfkäfern und Bakterien. Einige Symbionten stellen ein oder zwei Enzyme bereit, die Pektine abbauen können. Pektine kommen in den Zellwänden von Pflanzen vor und sind schwer verdaulich. Sie können von Pektinasen aufgeschlossen werden und tragen dann zur Kohlenhydrat- und Energieversorgung der pflanzenfressenden Insekten bei.
In einem weiteren Schritt hat die Arbeitsgruppe einen Stammbaum der symbiotischen Bakterien erstellt und ihre evolutionäre Vergangenheit nachgezeichnet. Es zeigte sich, dass im Laufe der Evolution viermal unabhängig voneinander die Pektinasen aus dem Symbionten-Genom verschwunden sind. Käfer, die über ihre Symbionten keine Pektinasen erhalten, sind auf Gräser und Seggen spezialisiert – also Pflanzen mit wenig Pektin. "Diese Käfer haben die Wirtspflanze gewechselt und weil Gräser und Seggen nur wenig Pektin in der Zellwand aufweisen, waren die Pektinasen der Symbionten offenbar nicht länger hilfreich und sind verloren gegangen", so Kaltenpoth. Käfer, die sich weiterhin von Seerosen, Schwanenblume oder Laichkraut ernähren, besitzen noch mindestens eine Pektinase.
Mikrobielle Symbionten können beides: Ökologische Nischen erweitern und einschränken
Die Arbeiten zeigen zum einen, dass Symbionten das ökologische Potenzial ihres Wirts verbreitern können und die Anpassung an eine neue Nische ermöglichen. Sie zeigen aber auch, dass symbiotische Mikroben die Auswahl an Wirtspflanzen einschränken können, wenn ihre enzymatischen Fähigkeiten verloren gehen. "Wir denken, dass diese Schilfkäferarten von Gräsern und Seggen nicht mehr auf pektinreiche Wirtspflanzen zurückwechseln können", so Prof. Dr. Martin Kaltenpoth.
Schilfkäfer gehören zu den wenigen Käfergruppen, die von einer terrestrischen auf eine aquatische Lebensweise umgestiegen sind. Zu diesem Wechsel vom Land ins Wasser haben symbiotische Mikroorganismen einen maßgeblichen Beitrag geleistet, indem sie die Nährstoffversorgung der Larven und der adulten Käfer unterstützen. Sie sind jedoch nach dem Verlust der Pektinasen bei bestimmten Schilfkäferarten auch für die Einschränkung der ökologischen Nische ihrer Wirte verantwortlich.
Forschung mit ERC Consolidator Grant gefördert
Die Forschungsarbeiten zur mikrobiellen Ökologie von Schilfkäfern wurden durch einen ERC Consolidator Grant unterstützt, den Prof. Dr. Martin Kaltenpoth im Jahr 2018 zur Erforschung von Symbiosen zwischen Käfern und Bakterien erhalten hatte. Der Biologe ist seit 2015 Professor für Evolutionäre Ökologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er wird neuer Direktor am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena und dort ab Februar 2021 die neue Abteilung Ökologie und Evolution der Insekten aufbauen.