Politische Gewalt erscheint bei ausgeprägtem Verschwörungsglauben als plausible Option

Studie in Deutschland und den USA untersucht Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und politischem Handeln anhand hypothetischer Fragestellung

31.03.2020

Manche politischen Bewegungen, vor allem wenn sie extremistisch ausgerichtet sind, gehen mit dem Glauben an Verschwörungstheorien einher. So haben sich antisemitische Demagogen lange Zeit auf "Die Protokolle der Weisen von Zion" bezogen, eine Verschwörungstheorie, die auf Fälschungen beruht, aber heute noch Verbreitung findet. Welche Rolle Verschwörungsdenken jedoch tatsächlich bei politischem Extremismus und Gewaltbereitschaft spielt, ist in der psychologischen Forschung bislang umstritten. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben den Zusammenhang in zwei Studien in Deutschland und den USA untersucht. Die Versuchsteilnehmer sollten sich dabei vorstellen, die Welt würde durch geheime Verschwörungen regiert. Unter der Prämisse, dass praktisch alle Gesellschaftsbereiche von geheimen, konspirativen Gruppen beherrscht werden, waren die Probanden weniger dazu bereit, sich an legalen politischen Aktionen zu beteiligen. Stattdessen würden sie eher zu illegalen, gewalttätigen Mitteln greifen.

Datenlage über politische Aktivität bei Anhängern von Verschwörungstheorien widersprüchlich

Den Wissenschaftlern vom Psychologischen Institut der JGU war aufgefallen, dass in Fachkreisen unterschiedliche Auffassungen vorherrschen. Auf der einen Seite wird die Ansicht vertreten, dass Verschwörungsideen einen motivierenden Einfluss haben könnten und sich die Anhänger eher am politischen Geschehen beteiligen, um Änderungen herbeizuführen. Auf der anderen Seite wird angenommen, dass der Verschwörungsglaube eher zu Politikverdrossenheit und Rückzug führt.

Das Team um Prof. Dr. Roland Imhoff ist diesem Widerspruch nachgegangen und hat untersucht, ob und in welcher Form ein Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und politischem Engagement besteht. Dazu wurden die Studienteilnehmer, 138 in Deutschland und 255 in den USA, gebeten, sich drei Szenarien vorzustellen: Dass sie in einer Gesellschaft leben, die im Geheimen von mächtigen Gruppen regiert wird, dass sie in einer Gesellschaft leben, in der sie vielleicht gewisse Verschwörungen vermuten, oder dass sie in einer Gesellschaft leben, in der kein wirklicher Grund für den Verdacht geheimer Machenschaften besteht. Sie sollten dann ihr politisches Engagement anhand von 20 verschiedenen Vorschlägen einstufen. Zum Beispiel: "Ich würde durch Stimmabgabe an einer Wahl teilnehmen" oder "Ich würde versuchen, den Ausgang einer Wahl durch das Hacken von Computern zu beeinflussen" oder aber "Ich würde einen gewalttätigen Angriff auf eine Person in einer Machtstellung ausüben".

Die Auswertungen zeigen, wie sich der vermeintliche Widerspruch erklären lässt: Zwischen dem – in diesem Fall hypothetischen – Glauben an Verschwörungstheorien und dem politischen Engagement besteht ein Zusammenhang, der sich grafisch als umgekehrte U-Kurve darstellt. Das heißt, die Bereitschaft zu politischer Aktivität erreicht ihren Höhepunkt bei den Anhängern, die dem mittleren Niveau der Verschwörungstheoretiker angehören. Dann nimmt das Interesse wieder ab, vor allem im Hinblick auf legale Mittel der Artikulation. Mit zunehmender Überzeugung, von der Regierung betrogen zu werden, steigt die Neigung, zu illegalen, gewalttätigen Mitteln zu greifen. Diese Tendenzen zeigten sich sowohl in Deutschland als auch in den USA, wenngleich hier in einer etwas abgeschwächten Form.

Die Ergebnisse, so die Autoren in ihrem Beitrag für das Fachmagazin Social Psychological and Personality Science, weisen auf eine reale Gefahr des Verschwörungsglaubens hin: "Wenn Menschen diese Weltsicht erst einmal angenommen haben und davon überzeugt sind, dann besteht für sie überhaupt keine Notwendigkeit, irgendeiner Form von sozialer Übereinkunft zu folgen – sozialen Übereinkünften, wie sie in Gesetzen und Regeln oder implizit in Form von Vertrauen in ausgewiesene Autoritäten wie Qualitätsmedien oder die Wissenschaft in unserem System verankert sind." Die Sozialpsychologen räumen ein, dass die beiden Studien deutliche Grenzen aufweisen, am offensichtlichsten wohl jene, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hypothetische Reaktionen zu einem hypothetischen Szenario abgeben sollten. Das Fazit beschränkt sich daher auf die Aussage, dass der Glaube an Verschwörungstheorien dazu führt, gewalttätigen Extremismus als eine plausible Option zu erachten.

Plausibles Verhalten stellt noch keine Handlung dar

"Wir sagen keineswegs, dass Verschwörungsglauben zu gewalttätigem Extremismus führt", macht Prof. Dr. Roland Imhoff noch einmal deutlich. "Sondern wir sagen, dass eine solche Haltung plausibel wäre, auch wenn man sich als Außenstehender in diese Gedankenwelt hineinversetzt." Es ist das erste Mal, dass in einer experimentellen Untersuchung nachgewiesen wird, dass politischer Extremismus und Gewalt eine fast logische Schlussfolgerung sein könnten, wenn man davon überzeugt ist, dass die Welt von geheimen Verschwörungen beherrscht wird.