Internationale Messkampagne über Westafrika liefert erste Ergebnisse / Ursachen für enorme Komplexität in verschiedenen Wolkenschichten noch unklar
30.08.2016
PRESSEMITTEILUNG DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR CHEMIE
Im Rahmen des EU-Projekts Dynamic-aerosol-chemistry-cloud interactions in West Africa (DACCIWA) untersuchen unter anderem Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) die Zusammensetzung der Luft über der westafrikanischen Küste. Das Hauptaugenmerk der Mainzer Wissenschaftler liegt dabei auf den Schwebstoffen in der Atmosphäre wie zum Beispiel Staub oder Ruß, den sogenannten Aerosolpartikeln. Erste Ergebnisse zeigen überraschenderweise, dass das Aerosol in den Abgasfahnen der großen Küstenstädte Accra, Abidjan, Lomé, Cotonou einen sehr hohen Anteil an organischem Material enthält und nicht wie vermutet größere Anteile an anorganischen Bestandteilen wie Sulfat oder Nitrat. Ein Befund, der auf Verbrennungen von Holzkohle, Müll, Biomasse aus Brandrodungen und landwirtschaftlichen Abfällen bei niedriger Temperatur hindeutet. Die vielen Aerosolpartikel führen zeitweise zu erheblichen Trübungen der Atmosphäre. Dadurch erreicht weniger Sonnenlicht den Erdboden und es ändert sich der Tagesverlauf von Temperatur, Wind und Wolken. Die Messungen zeigten nun zum ersten Mal die enorme Komplexität der Wolkenbildung in den verschiedenen bodennahen und höheren Luftschichten, deren Hintergrund nach wie vor unklar ist.
Westafrika ist im Wandel. Rapide wachsende Bevölkerungen, massive Urbanisierung, komplexe meteorologische Einflüsse, unkontrollierter Waldabbau und kaum kontrollierte Luftverschmutzung verändern die Zusammensetzung der Atmosphäre und beeinflussen damit Niederschläge, Wetter und Klima. Was für Folgen die Luftverschmutzung aber für Land und Leute haben wird, und wie die verschiedenen Emissionsquellen die Region langfristig verändern, ist bislang unzureichend erforscht. Das insgesamt fünf Jahre dauernde EU-Projekt DACCIWA will Grundlagen für neue und präzisere Klima-, Wetter- und Luftqualitätsmodelle schaffen, die eine nachhaltigere Entwicklungspolitik ermöglichen. Forscher aus insgesamt 16 internationalen wissenschaftlichen Einrichtungen untersuchen in dem – vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) koordinierten – EU-Projekt DACCIWA die Zusammenhänge zwischen Wettereinflüssen, Klimawandel und Luftverschmutzung. In koordinierten Messkampagnen erforschen die Wissenschaftler dabei erstmals die gesamte Kette der Auswirkungen von natürlichen und menschengemachten Emissionen auf die westafrikanische Atmosphäre. Von Juni bis Juli 2016 waren sie dazu mit drei Forschungsflugzeugen in Westafrika vor Ort, nachdem man in den Jahren zuvor bereits Daten mithilfe von Bodenstationen gewonnen hatte. Hierfür waren drei hochinstrumentierte Messstandorte im Landesinneren aufgebaut worden, von denen mehrmals am Tag Wetterballonaufstiege stattfanden, um so die urbanen Emissionen zu bestimmen und die dahinter stehenden meteorologischen Verhältnisse zu dokumentieren.
Während der Messkampagne flogen nun drei Forschungsflugzeuge koordinierte Messflüge: Neben der Falcon des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) kam die Twin Otter-Propellermaschine "Ice Cold Katy" des British Antarctic Survey zum Einsatz sowie die ATR des Service des Avions Français Instrumentés pour la Recherche en Environnement (SAFIRE, einer Vereinigung der französischen Forschungsinstitutionen CNRS, Météo-France und CNES). Die unterschiedlichen Flugzeugtypen spielten jeweils ihre besonderen Stärken (Flughöhe, Geschwindigkeit, Reichweite) aus – flogen jedoch mit ähnlicher Instrumentierung zu Spurengasen, Aerosolen, Wolken sowie meteorologischen Messgrößen, um genaue Vergleiche zwischen verschiedenen Luftschichten zu ermöglichen.
Westafrikanische Atmosphäre im Wandel?
Die Luft in der Küstenregion Westafrikas vermengt sich zu einem einzigartigen Gemisch aus verschiedensten Spurengasen, Tröpfchen und Teilchen: Monsunwinde mit Seesalz kommen aus dem Südwesten, Wüstenstaub-beladene Nordwinde von der Sahara, Produkte großflächiger Biomassenverbrennungen aus dem Süden. Lokale Emissionen entstehen aus Holzkohlefeuern und Abfallverbrennungen der Städte, aus den Kraftwerken der Region, sowie von Schiffsverkehr, Ölplattformen und veralteten Motoren. Aber auch aus größerer Entfernung durch den sogenannten "Tropical Easterly Jet" herantransportierte und mit Verunreinigungen belastete Luftmassen tragen zur chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre in bisher nicht quantifizierter Weise bei. Gleichzeitig bilden sich regelmäßig zum Teil mehrschichtige Wolkendecken, die großen Einfluss auf das lokale Wetter und Klima haben. Wie sich die Aerosolpartikel aber genau zusammensetzen und welchen Einfluss sie auf das Entstehen und Verschwinden von Wolkenformationen haben, ist derzeit kaum erforscht und nicht in aktuelle Klimamodelle integriert.
Partikelmassenspektrometrie bis in 13 Kilometer Höhe
Vom Flughafen Lomé in Togo aus startete das Forschungsflugzeug Falcon des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) in das westafrikanische Küstengebiet mit Spurengas- und Partikel-Messinstrumenten des DLR-Instituts für Physik der Atmosphäre, des Max-Planck-Instituts für Chemie, und der CNRS Orleans. In verschiedenen Höhen durchflog die Falcon Wolkenschichten und steuerte gezielt in Abgasfahnen der Städte Lome, Accra und Abidjan hinein. Auch Emissionen des Schiffsverkehrs und von Ölplattformen vor Ghana und der Elfenbeinküste wurden vermessen.
Während der Flüge betrieben die Wissenschaftler des MPI für Chemie ein hochmodernes Aerosolmassenspektrometer, das für den Betrieb in der Falcon speziell konfiguriert werden musste. Das Instrument misst die chemische Zusammensetzung der sehr kleinen Aerosolteilchen des Feinstaubs in Echtzeit mit hoher räumlicher Auflösung. "Unter den sehr schwierigen Messbedingungen bei Temperaturen bis über 40 Grad in der Flugzeugkabine hat sich das Messgerät bestens bewährt", resümiert Prof. Dr. Stephan Borrmann, Professor am Institut für Physik der Atmosphäre der JGU und Direktor der Abteilung Partikelchemie am Max-Planck-Institut für Chemie, die eine gemeinsame Einrichtung mit dem Institut für Physik der Atmosphäre der JGU ist. "Besonders durch das hervorragend koordinierte Zusammenspiel der drei Messflugzeuge aus Frankreich, England und Deutschland gelang es uns, einen einmaligen Datensatz während DACCIWA zusammenzutragen."
Da sich über der Küste Westafrikas jeden Tag eine oder mehrere Wolkendecken bilden, eignet sich diese Region bestens als Labor, um die Wechselwirkungen zwischen vorherrschender lokaler und herantransportierter Luftverschmutzung und den jeweiligen Wolkeneigenschaften zu studieren. "Mit unserem Aerosolmassenspektrometer sind wir in der Lage, die kleinen Aerosolpartikel direkt im Flugzeug chemisch zu analysieren", erläutert PD Dr. Johannes Schneider, Leiter der Arbeitsgruppe "Aerosol- und Wolkenchemie" am MPI für Chemie. "Die chemische Zusammensetzung lässt einerseits Rückschlüsse auf die Quellen der Partikel zu, andererseits kann man daraus ableiten, wie gut die Partikel zur Wolkenbildung geeignet sind."
Doch die Luftverschmutzung bleibt nicht dort wo sie entsteht, sondern zieht weiter in Afrika. Deshalb verfolgten die Forschungsflugzeuge die Abgasfahnen der großen Küstenstädte Accra, Abidjan, Lomé, Cotonou auf ihrem Weg von der Küste bis ins Landesinnere, bevor sie sich – über Steppe und Wälder hinweg – weiter in Richtung Sahara ausbreiten.
"Im Jahr 2006 haben wir schon einmal physikalische Messungen zu den Aerosolen und Wolken über Westafrika mit einem Spezialflugzeug bis in 20 Kilometer Höhe über Burkina Faso durchgeführt. Die heute erheblich weiter entwickelte Messtechnik ermöglichte während der DACCIWA-Kampagne in Togo nun die sehr viel schwierigeren, chemischen Messungen der Feinstaubpartikel", erklärt Borrmann den Kontext der DACCIWA-Kampagne. "Mit Hilfe der gewonnenen Daten können nun die vielfältigen physikalischen und chemischen Prozesse der Atmosphäre Westafrikas vor dem Hintergrund der wachsenden Landnutzung durch den Menschen und im Umfeld von Atlantik, Sahara und Sahel untersucht werden. Für diese sehr seltene Gelegenheit sind wir außerordentlich dankbar."
Noch bis 2018 erforschen die Wissenschaftler die Einflüsse der atmosphärischen Zusammensetzung auf die Wolkenformationen und die Luftqualität Westafrikas und werten ihre gesammelten Daten aus.