Wissenschaftler zeigen bisher unbekanntes Ausmaß der erfahrungsabhängigen Reorganisation der Konnektivität neu entstandener Neurone des Hippocampus
05.02.2015
Der Hippocampus ist ein anatomisches Hirnareal, das zentral an der Gedächtnisbildung und der Regulation des emotionalen Verhaltens beteiligt ist. Darüber hinaus ist es eine der wenigen Regionen des erwachsenen Gehirns, in der neurale Stammzellen lebenslang neue Nervenzellen generieren. Diese bieten dem hippocampalen Schaltkreis eine fast einzigartige Möglichkeit der Plastizität, die eine wichtige Bedeutung für die Informationsverarbeitung und Regulierung des Gemütszustands hat. Die Anzahl der neu gebildeten Neurone des Hippocampus wird abhängig von neuen Erfahrungen und physischen Aktivitäten wie beispielsweise Sport gesteigert. Wissenschaftler vom Exzellenzcluster "Cellular Stress Responses in Aging-Associated Diseases" (CECAD) der Universität zu Köln und des Max-Planck-Instituts für die Biologie des Alterns, von der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie von der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben gemeinsam erforscht, ob neben der Neurogenese auch die Konnektivität der Neuronen durch Erfahrungen beeinflusst wird.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Konnektivität der neuen Nervenzellen, vor allem die Anzahl und die Art der Verbindungen, im adulten Gehirn nicht vorgegeben ist, sondern sich in Abhängigkeit zu Umweltfaktoren verändert. Durch die Exposition mit neuen Umgebungsfaktoren, in der Fachsprache als "Environmental Enrichment" (EE) bezeichnet, wurde sowohl die lokale Innervierung durch hippocampale Interneurone als auch die Innervierung durch Projektionsneurone aus dem entorhinalen Kontext deutlich gesteigert. Während die inhibitorischen Verbindungen nur vorübergehend gesteigert wurden, blieb die kortikale Innervation auch nach Beendigung der Exposition erhöht. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe belegen damit den großen Einfluss der Exposition und des Entzugs von komplexen Umweltfaktoren auf die Einbindung neuer Neurone in die bestehenden Schaltkreise und damit in Hippocampus-abhängige Gehirnprozesse.
Mit diesen Forschungsergebnissen konnten die Arbeitsgruppen einen entscheidenden Beitrag für ein tiefgehendes Verständnis der Reaktion des Gehirns auf Umwelteinflüsse leisten. Sie zeigen, wie externe Stimuli zu einer Veränderung der neuronalen Verbindungen führen. Ihre Ergebnisse werden nicht nur helfen, den Einfluss komplexer Lernprozesse auf die Plastizität des Gehirns zu entschlüsseln. Sie bilden auch eine neue Grundlage für die Erforschung von Fehlanpassungen der neuronalen Verbindungen, die mit neurologischen und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Epilepsien, Depressionen, Angstzuständen oder dem posttraumatischen Umgang mit Stresssituationen einhergehen. Damit leisten die neuen Erkenntnisse auch einen entscheidenden Beitrag zur Arbeit des neu gegründeten Deutschen Resilienz-Zentrums mit seiner Zielsetzung, die Mechanismen der Resilienz neurowissenschaftlich zu verstehen, darauf aufbauend mit Präventionsstrategien vorzubeugen und darauf hinzuwirken, Lebensumfelder so zu verändern, dass Resilienz gestärkt wird.