Sklavenrebellion bei Ameisen weit verbreitet

Versklavte Arbeiterinnen töten die Nachkommen ihres Parasiten und verschaffen so der benachbarten Verwandtschaft einen Fitnessvorteil

19.09.2012

Ameisen, die in fremden Nestern als Sklaven gehalten werden, können ihren Ausbeutern durch Sabotageakte beträchtlichen Schaden zufügen. Ameisenforscherin Prof. Dr. Susanne Foitzik von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat das als Sklavenrebellion bezeichnete Verhalten im Jahr 2009 zum ersten Mal beobachtet. Nun zeigen neue Forschungen, dass es sich bei diesen Beobachtungen um keinen Einzelfall handelt, sondern dass es ein weit verbreitetes Merkmal zu sein scheint. In drei unterschiedlichen Gemeinschaften aus den US-Bundesstaaten West Virginia, New York und Ohio haben versklavte Arbeiterinnen der Ameisenart Temnothorax longispinosus demnach die Brut ihres Parasiten Protomognathus americanus vernachlässigt und getötet statt sie zu pflegen. In der Folge überlebten im Durchschnitt nur 45 Prozent der Parasiten-Nachkommen. Vermutlich wird dadurch der Parasitendruck in der Umgebung verringert und die Überlebenschancen der verwandten Nachbarkolonien erhöht.

Über die Hälfte aller Arten lebt parasitisch, beutet also andere Arten, ihre sog. Wirte, aus. Die amerikanische Sklavenhalterameise Protomognathus americanus gehört zu den evolutionsgeschichtlich alten Sozialparasiten, die eine andere Ameisenart brauchen, um überleben zu können. Die Sklaven müssen sich im Nest des Parasiten um die Aufzucht der Brut, die Futtersuche, das Füttern der Sklavenhalter und sogar um die Verteidigung des Nests kümmern. Die Versklavung erfolgt, indem Arbeiterinnen der Sklavenhalterameise die Nester der Wirtsart Temnothorax longispinosus überfallen, erwachsene Tiere töten und die Brut rauben. Im eigenen Nest, das sich in hohlen Eicheln, Nussschalen oder hohlen Zweigen befindet, wird das Brutpflegeverhalten der versklavten Art ausgenutzt und für eigene Zwecke verwendet. Die versklavten Brutpflegerinnen füttern und reinigen dann die Larven und ziehen so den Nachwuchs ihres Parasiten groß – bis zu einem bestimmten Punkt, wie die Arbeitsgruppe um Susanne Foitzik gezeigt hat.

"Wahrscheinlich können die Sklaven zunächst nicht erkennen, dass es sich um die Brut einer anderen Art handelt", vermutet die Mainzer Evolutionsbiologin. 95 Prozent der Brut überlebt das Larvenstadium. Doch sobald sich die Larven verpuppen, ändert sich die Situation. "Die Puppen, die schon wie Ameisen aussehen, haben ein chemisches Profil auf ihrer Kutikula, das offenbar wahrgenommen wird. Wir konnten zeigen, dass es dann bei den Puppen zu hohen Tötungsraten kommt." Die Puppen werden entweder vernachlässigt oder absichtlich getötet, indem sie attackiert und auseinandergerissen werden. Dazu können sich mehrere Sklavinnen auf eine Puppe stürzen, die während der Verpuppung, die ohne Kokon erfolgt, bewegungslos und wehrlos ist.

In Parasitennestern aus West Virginia haben nur 27 Prozent und in denen aus New York nur 49 Prozent der Puppen überlebt. In Ohio war die Überlebensrate der amerikanischen Sklavenhalterameise mit 58 Prozent etwas höher, lag aber immer noch deutlich unter der Überlebensrate von Wirtspuppen in freilebenden Nestern von 85 Prozent. "Die versklavten Arbeiterinnen gewinnen daraus keinen direkten Nutzen, weil sie sich nicht fortpflanzen können", erklärt Foitzik. Durch das Töten der Sklavenhalternachkommen erhalten aber benachbarte Verwandte, die Schwestern der versklavten Arbeiterinnen sein können, einen indirekten Fitnessvorteil: Die Wachstumsrate von Nestern, die durch Sklavenrebellion geschädigt sind, ist geringer und kleinere Sklavenhalternester unternehmen weniger Raubzüge in die Umgebung.

Die großen Unterschiede in der Tötungsrate von Nestern aus unterschiedlichen Regionen entspricht den Erwartungen der geographischen Mosaiktheorie der Koevolution: Gemeinschaften unterscheiden sich im lokalen Selektionsdruck und in den durch Mutationen entstandenen Angriff- oder Verteidigungsmerkmalen, sodass die Koevolution unterschiedliche Wege einschlagen kann. Während die Wirtsameisen in New York sehr aggressiv sind und häufig Sklavenraubzüge abwehren, profitieren die Wirte in West Virginia mehr vom Rebellionsverhalten, da benachbarte Nester häufiger nahe Verwandte aufweisen, wie genetische Analysen zeigen.

Die Forschungsarbeiten zur Evolution von Sklavenrebellion werden seit Oktober 2011 in dem DFG-Projekt "The evolution of resistance and virulence in structured populations" gefördert.